Verlassene Bushaltestellen, Badewannen und Büroräume: Thomas Demands Fotografien selbst gebauter Papierarbeiten zeigen Orte ohne Menschen.

Whitney Houston ist ein gefallener Engel. Von einer der weltweit erfolgreichsten Sängerinnen aller Zeiten, dutzendfach mit Gold und Platin veredelt, hin zu einer Drogenbraut, die sich von ihrem Ehemann verprügeln und ihr Badezimmer im Crackrausch vermüllen lässt - so wandelte sich das Image der 1963 in New Jersey geborenen US-Amerikanerin binnen weniger Jahre. Als Houston am 11. Februar 2012 im „Beverly Hilton Hotel" in Beverly Hills mit einer Überdosis im Blut leblos aufgefunden wird, ist die Weltöffentlichkeit nicht nur schockiert, sondern auch bestätigt: Es hatte ja so kommen müssen.

Bilder, ins kollektive Gedächtnis eingebrannt

Hatte es? Tragischer Unfall oder zwangsläufiges Ende eines Weltstars mit Drogenproblemen? Auch Thomas Demands „Junior Suite" gibt hierauf keine Antwort. Die lebensgroße Fotografie eines Papiermodells zeigt lediglich, wie Whitney Houston ihre letzten Stunden vor der Überdosis verbracht haben könnte: Ein Teller mit Essensresten, ein nur halb geleertes Getränk im Glas, ein paar zerknüllte Servietten. Kein Hinweis darauf, dass kurze Zeit später eine Tragödie geschehen sollte. Die Salzstreuer stehen fein säuberlich nebeneinander, der Beistelltisch ordentlich und nahezu unberührt. Nur diese gespenstische Ruhe des sterilen Settings lassen erahnen, dass sich hier vielleicht doch nicht alles in bester Ordnung befindet.

„Junior Suite" ist nicht die einzige Arbeit, die Thomas Demand mit Papier bastelt und anschließend in großformatiger Fotografie ausstellt. Wie wenige andere zeitgenössische Künstler hat er sich fast ausschließlich auf dieses eine, man muss sagen: dieses von ihm selbst erfundene Medium festgelegt. Mit größter Präzision und Detailgenauigkeit fertigt er Papiermodelle bestehender Fotografien an, um diese dann anschließend wiederum abzufotografieren -- falls möglich, im Maßstab 1:1. Das Originalmodell wird danach zerstört. Als Ausgangspunkt nutzt Thomas Demand ausschließlich Pressebilder. Die kombinierte Arbeitsweise entspricht dem Ausbildungsweg des 1964 in München geborenen Künstlers: Nach einem Kunststudium in Bildhauerei wurde er in die legendäre Fotografie-Klasse von Hilla und Bernd Becher aufgenommen. Schon während seiner Zeit an der Kunsthochschule fertigt Demand erste Abbildungen von Pressefotografien an, wobei er gern skandalumwitterte Themen als Ausgangspunkt nimmt: In seinem Werk findet sich unter anderem die Badewanne, in der CDU-Politiker Uwe Barschel 1987 tot aufgefunden wurde, oder eine Außensicht der „Tosa-Klause", in der zu Beginn der 2000er-Jahre mutmaßlich mehrere Kinder missbraucht und eines davon getötet worden sein sollen. Die Angeklagten wurden in diesem Fall allesamt freigesprochen. Die massenhaft verbreiteten Bilder, die Demand als Vorlage dienen, haben sich aber derart ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, dass sie einmal gesehen unmittelbare Erinnerungen und Emotionen hervorrufen -- ganz egal, welche Kenntnisse heute über die Situation bestehen mögen.

Radikal reduziert, aber enorm präzise

Thomas Demand arbeitet mit scheinbaren Gegensätzen: Er reduziert seine Sujets so sehr, dass sie nur noch ein Modell ihrer selbst werden. Gleichzeitig sind seine Modellarbeiten aber so detailreich, dass sie aus einiger Ferne betrachtet einen merkwürdig realen Charakter entwickeln.

Die verblüffende, natürlich nur scheinbare „Echtheit" der abfotografierten Modelle ist es dann auch, die Thomas Demand früh zu einem Liebling des Kunstbetriebs machte -- schon während der ersten Rundgänge an der Düsseldorfer Kunstakademie soll ein anerkennendes Raunen durch die Reihen des kunstbeflissenen Publikums gegangen sein, als der damalige Student seine ersten Arbeiten präsentierte. Dabei ist die vermeintliche Echtheit, die Nähe zum Original eine spannende und in dieser Form selten dargebrachte Qualität. Sie ist aber keinesfalls die einzige oder spannendste Eigenschaft der an Eigenarten nicht gerade armen Welt von Thomas Demand. Als Türöffner zieht sie den Betrachter unmittelbar ins Geschehen, nur um ihn dann unmittelbar wieder auszuspucken und auf sich selbst zurück zu werfen: Denn das Gesehene, so wird schnell klar, ist eine schon beim zweiten Hinschauen merkwürdig fremdartige Abbildung, entsteht erst durch die Hinzudichtung im Kopf: Der Voyeurismus ist geweckt.

Thomas Demand zeigt Tatorte ohne Tat, Orte ohne Menschen. Seine detailreichen Papiermodelle sind gerade so echt, dass sie uns als glaubwürdiges Zeugnis erscheinen können, und in ihrer klinisch-aseptischen Gestaltung so unheimlich, dass sie ohne Mühe ungute Vorahnungen zu wecken verstehen. Was geschah damals wirklich im Genfer Hotel „Beau Rivage", in dem der CDU-Politiker Uwe Barschel unter ungeklärten Umständen ums Leben kam? Wie fühlte sich Whitney in ihrer Suite, kurz bevor die tödliche Überdosis Drogen ihren Körper passierte? Die Aussparung des tatsächlichen Skandals, die radikale Reduktion auf Hinterlassenschaften, auf Mobiliar, Wände, Tisch, Stühle und Ausstaffierungsgegenstände steigern die Spannung ins Unausstehliche. Einen Ausweg gibt es nicht: Thomas Demands Fotografien machen den Zuschauer selbst zum Paparazzo. Ohne Projektionsflächen realer Berühmtheiten, ohne existente Täter und Opfer geht´s hinab in das Herz der Finsternis, wo niederste Instinkte und urmenschliche Abgründe ihren höchst eigenen Skandal erschaffen.