Der Italiener Mimmo Rotella verstand seine Plakatkunst als Mittel des Protests gegen eine konservative Gesellschaft.

Er riss Plakate in Stücke, etwa welche mit den Konterfeis von Marilyn Monroe, Elvis Presley oder Sofia Loren, und setzte die bedruckten Papierfetzen zu Kunst zusammen. Mimmo Rotella gehörte neben Raymond Hains und Wolf Vostell zu jenen, die in den Fünfzigerjahren die so genannte Décollage -- das Abreißen von Streifen und Stücken von Plakaten im öffentlichen Raum und deren Umfunktionierung zum künstlerischen Material -- als Ausdrucksmittel für sich entdeckten.

Es waren gerade die Filmplakate, die Porträts der Stars und Diven, die es dem italienischen Künstler angetan hatten, ähnlich wie Andy Warhol auf der anderen Seite der Welt. Rotella verband den Glamour der Filmindustrie mit der Ästhetik der modernen Großstadt. Seine Faszination für das Kino entdeckte er schon als Kind: In seiner süditalienischen Heimatstadt Catanzaro freundete sich Rotella mit einem Kinomaler an. Später schrieb er sich an der Kunstakademie in Neapel ein.

In der Nachkriegszeit probierte sich der 1918 geborene Künstler aus, malte expressiv-abstrakt, schrieb Lautpoesie, arbeitete mit Fotografie und Fotomontage, komponierte primitive Musiken und schuf Objektassemblagen. Gerade die Auseinandersetzung mit der Fotografie beschrieb der französische Kunstkritiker Pierre Restany später als prägende Erfahrung. Rotella habe seinen Blick durch das Medium vertieft, habe Rom durch das Auge der Kamera beschaut, begierig die Details der farbigen, pulsierenden Haut der Mauern erfasst.

Nach Reisen und Ausstellungen in den Vereinigten Staaten hatte sich Rotella in Rom niedergelassen. Die zerfransten Plakatwände der Piazza del Popolo regten ihn dazu an, sich der Décollage zu widmen, die ihm schließlich internationales Renommee bescherte. Die Décollage verstehe er als Mittel des Protests gegen eine Gesellschaft, die kein Interesse mehr an Veränderungen und großartigen Umgestaltungen habe, kommentierte er einmal die Wahl seines Mediums.

Fransige Kanten fressen sich in perfekte Porträts und rücken so den rauen Charme der Nachkriegsstadt ins Bild. Schnipsel aus Worten, Zahlen und Bildern fügen sich zu zufälligen Tableaus. Rotella nutzte Vorder- und Rückseiten der Plakatabrisse und überführte sie in Motive, die zwischen Abstraktion und Figuration changieren. Hier ein Arm, da ein Meer bunter Papierfetzen.

Pierre Restany stellte Mimmo Rotella den Mitgliedern der Gruppe der Nouveaux Réalistes vor, die sich 1960 rund um die Erstunterzeichner Klein, Raysse, Arman, Dufrêne, Villeglé, Hains, Spoerri und Tinguely konstituiert hatte. Erklärtes Ziel der Gruppe war es, neue perspektivische Herangehensweisen an das Reale zu erkunden. Rotella beteiligte sich in der Folgezeit an Ausstellungen der Nouveaux Réalistes und perfektionierte seine Technik der Décollage.

Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Ästhetik der für ein Massenpublikum produzierten Filme machte ihn auch zu einem der Pioniere der Pop Art in Europa. Wie Warhol wendete sich Rotella später düsteren Themen zu. Während Warhol in der Klatschpresse gefundene Flugzeugabstürze, Autounfälle und Selbstmorde verarbeitete, griff Rotella etwa den Tod des Papstes und die Ermordung John F. Kennedys auf. Er lebte ein schnelles Leben, in seiner 1972 verfassten Autobiografie „Autorotella" beschrieb er Exzesse. Künstlerisch aktiv blieb er zeitlebens, 1986 führte er im kubanischen Havanna Performances auf, bei denen er Streifen von Plakatwänden vor Publikum abriss. 2006 starb Rotella im Alter von 87 Jahren.