Vor seinem überraschenden Tod im Jahr 1987 adaptierte Andy Warhol „Das letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci. Abschied oder Zufall?

Man könnte in Andy Warhol so etwas wie den Jesus der Kunstwelt sehen: Er war ständig von seinen Aposteln umgeben, den „Superstars“, die er in seiner New Yorker Factory um sich scharte, mit denen er Filme drehte, die er zu Musiksternchen machte. Seine Strahlkraft ist auch lange nach seinem Tod noch spürbar. Pop lebt, und mit ihm Andy Warhol. Als Jesus seine zwölf Apostel am Abend vor seiner Kreuzigung zum letzten gemeinsamen Abendmahl zusammenrief, initiierte er ein Erinnerungsritual, das Christen bis heute am Gründonnerstag zelebrieren. Dass ausgerechnet das Abendmahl Motiv für Warhols im Jahr 1986 entstandene letzte Werkserie wurde, ist allerdings Zufall. Der Galerist Alexander Iolas bat ihn, eine Version der berühmtesten künstlerischen Bearbeitung des Themas, der von Leonardo da Vinci, zu gestalten, für eine Ausstellung in Mailand unweit des Originals. Warhol sagte zu.

Wie eine Vorlage aus einem Kinder-Malbuch

Da Vinci hatte das über vier mal neun Meter große Wandgemälde Ende des 15. Jahrhunderts in einem Dominikanerkloster in Mailand geschaffen. Jesus sitzt an einer langen Tafel umgeben von seinen Aposteln, darunter auch sein Verräter Judas. Im Gegensatz zu Da Vincis symmetrisch durchkomponiertem Meisterwerk, in dem Jesus den perspektivischen Mittelpunkt bildet, fällt Warhols großformatige Adaption „The Last Supper (Camel/57)“, die jetzt in der SCHIRN zu sehen ist, schlicht aus. Ihn interessiert vor allem die Oberfläche. Und die reduziert er auf comicartig umrissene Protagonisten. In seiner Skizzenhaftigkeit wirkt das Bild unfertig, wie eine Vorlage aus einem Kinder-Malbuch. Man ist versucht, den Buntstift in die Hand zu nehmen. Ganz unvermittelt tauchen zwei ebenfalls skizzenhafte Logos auf dem Motiv auf, das der Zigarettenmarke Camel und die „57“ aus einer Reihe von Produkten der Marke Heinz. Ketchup-König Henry Heinz hatte die Zahl einst willkürlich ausgewählt, um seinem Sortiment einen Slogan mit Glückszahl zu verpassen: „57 Varieties of Heinz“.

In seiner letzten Serie spielt Warhol noch mal alles aus, was charakteristisch für sein Werk ist. Da ist die Aneignung eines fremden Motivs. Da ist die Werbeästhetik – Warhol begann seine Karriere als Illustrator und verstand sich bis zum Schluss als Werbekünstler. Da sind die aus der Konsumkultur importierten Symbole und rot-gelb knallende Preishinweise. Da sind monochrome Siebdrucke und natürlich Wiederholungen: Warhol isolierte den fromm geneigten Jesuskopf aus Da Vincis Vorlage, reproduzierte ihn 112 Mal und reihte die Köpfe ordentlich nebeneinander auf, so wie er es schon über 20 Jahre zuvor mit seinen berühmten Campbell’s-Soup-Dosen getan hatte. 

Warhol schuf Werke für jeden

Auch, dass die Idee zu dieser Serie nicht von ihm selber stammt, ist programmatisch für Warhols Werk. Was soll ich als Nächstes machen? Diese Frage stellte er Freunden und Kollegen öfter. Er wollte das Kunstwerk voll und ganz vom Verdachtsmoment der Genialität befreien. Für viele seiner Arbeiten lieferte er also weder die Idee, noch fertigte er sie selber an. Ob seiner Genialität wird Warhol trotzdem bis heute gefeiert. Zu Recht: Wie keiner vor oder nach ihm dekonstruierte er die High Art, eine elitäre Kunst für einen kleinen Rezipientenkreis. Er schuf Werke für jeden. Fragen nach dem tieferen Sinn dahinter beantwortete er meistens mit: „Keine Ahnung“.

So bemühte sich auch Kritiker Paul Taylor im letzten Interview mit Warhol vor dessen Tod vergeblich, dem Starkünstler ein paar Informationen zu seinen „Last Supper“-Bildern abzuringen. Als er danach fragte, warum Warhol einige davon mit Tarnfarben überdeckt habe, antwortete dieser, er habe eben noch Tarnfarben übrig gehabt. So einfach ist das. Und so einfach war es immer bei Warhol. Er eignete sich Motive aus Konsum, Massenmedien und Kunstgeschichte an – die Cola-Flasche, Elvis oder das „Letzte Abendmahl“ von Leonardo Da Vinci – und machte schlicht Pop daraus. 

Andy Warhol’s Fifteen Minutes

So hätte es noch viele Jahre weitergehen können. Er habe gerade die Rechte an Tama Janowitz’ Geschichtenband „Slaves of New York“ gekauft, erzählte er Taylor, und könne sich auch vorstellen, Stephan Kochs „The Bachelors’ Bride“ zu verfilmen. Außerdem arbeite er an neuen Folgen seiner MTV-Show „Andy Warhol’s Fifteen Minutes“, die in den 1980er-Jahren auf Sendung war. Ein neues Buch plane er auch. Warhol war voller Tatendrang als er 1987 überraschend an Komplikationen infolge einer Gallenblasenoperation starb. Er verließ die Kunstwelt viel zu früh. Und ganz ohne letztes Abendmahl im Kreise seiner Superstars.