Mit der Klanginstallation "Rio Oir" bringt der brasilianische Künstler Cildo Meireles rauschende Flüsse und unbändiges Lachen nach Frankfurt.

Goldabbau und Ölpest verschmutzt brasilianische Gewässer, Quellen werden privatisiert. Vor allem die indigene Bevölkerung leidet darunter. Vielleicht hatte Cildo Meireles diese Entwicklungen im Sinn, als er von 2009 bis 2011 durch Brasilien reiste und Geräusche von Flüssen, Wasserfällen und Quellen sammelte. Die Idee zu „Rio Oir" hatte Meireles aber schon 1976. Die Installation, die jetzt in der Gruppenschau „Brasiliana" zu sehen ist, hat er analog zum Palindrom im Titel konzipiert. „Rio" ist das spanische und portugiesische Wort für Fluss, auf Spanisch heißt „rio" auch „ich lache" und „oir" „hören". Es sind zwei symmetrisch zueinander angeordnete begehbare Räume. Der eine ist abgedunkelt und vom Rauschen der Aufnahmen durchdrungen, sogar Töne von Wasserhähnen und Toilettenspülungen hat Meireles beigemischt. Der andere ist hell und mit Spiegelfolie ausgekleidet, aus Boxen dringt Gelächter verschiedener weiblicher und männlicher Stimmen. Seine Reisen entlang der Flüsse Brasiliens hat er dokumentiert, die Bilder sind auf Bildschirmen neben der Installation zu sehen. 

Der 1948 geborene Meireles nahm an zahlreichen internationalen Ausstellungen teil, 2008 ehrte ihn die Tate in London als ersten brasilianischen Künstler mit einer Retrospektive. Er gehört zur Avantgarde seines Landes, die angeführt von Pionieren wie Lygia Clark und Hélio Oiticica eine Kunst für alle Sinne propagierte, den Körper in den Mittelpunkt rückte und den Betrachter mittels partizipatorischer Installationen und Objekte zum Teilnehmer machte. Viele seiner Arbeiten sind offen politisch. Ab 1964 herrschte in Brasilien 20 Jahre lang eine rigorose, teils von der US-Regierung unterstützte Militärjunta. Politische Gegner wurden mundtot gemacht, gefoltert, ermordet. Für die brasilianische Kunst wurden die 1960er- und 1970er-Jahre nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade auch deswegen zur fruchtbaren Periode.

Instruktionen für den Bau von Molotowcocktails

Meireles entwickelte eine eigene kritische und mitunter radikale künstlerische Sprache. 1970 stellte er die Arbeit „Tiradentes: totem monumento ao preso político" (Tiradentes: Totem-Monument für einen politischen Gefangenen) vor. Sie bezieht sich auf einen von der Militärjunta vereinnahmten Mythos um einen Patrioten, der sich im 18. Jahrhundert gegen die portugiesischen Herrscher aufgelehnt haben und dafür brutal hingerichtet worden sein soll. Meireles band zehn lebende Hühner an einen hölzernen Pfahl, übergoss sie mit Benzin und verbrannte sie. Er könne die armen Hühner noch immer schreien hören, sagte er in einem Interview, aber damals habe er das einfach tun müssen.

Im selben Jahr initiierte er seine Konzeptkunst-Reihe „Inserções em circuito ideológico", Ideen für Interventionen in ideologischen Warenkreisläufen. Sie war damals in der Gruppenschau „Information" im MoMA in New York zu sehen. Meireles präparierte Geldscheine und Coca-Cola-Flaschen. Auf die Scheine druckte er politische Botschaften wie „Wer hat Herzog ermordet?", ein Verweis auf einen Journalisten, der in einem Gefängnis starb. Darauf abgebildete Nationalhelden ersetzte er durch indigene Gesichter. Coca-Cola-Flaschen versah er mit Etiketten, die auf der leeren Flasche kaum sichtbar und erst bei erneuter Befüllung wieder deutlich zu lesen waren, etwa Instruktionen für den Bau von Molotowcocktails oder Botschaften wie „Yankees Go Home".

Ein wichtiges Element in Meireles' Werk ist das Gefühl von Gefahr. In seiner Installation „Através" müssen sich Besucher ihren Weg über Glasscherben und vorbei an Stacheldraht bahnen. Die Arbeit „Volátil" lässt den Besucher allein in einem nur von einer Kerze beleuchteten Raum voll Talkumpuder, das Gasgeruch ausströmt. „Rio Oir" ist eine der eindrucksvollsten Installationen der Gruppenschau in der SCHIRN. Es bleibt dem Betrachter überlassen, wie er sie erlebt und wie er sie liest. Er kann sich ausgeliefert fühlen, wenn er in völliger Dunkelheit steht, umgeben vom schwindelerregenden Rauschen der brasilianischen Flüsse. Oder wenn er sich ganz alleine inmitten des Gelächters Unsichtbarer wiederfindet.