Wie kein anderer kritisierte Ed Kienholz den Rassismus in den USA in seinen Arbeiten. Zwei dieser Tableaux sind in der aktuellen Schirn-Retrospektive vertreten, die dritte sorgt in Los Angeles dieser Tage für Furore.

Fünf im Kreis aufgereihte Autos werfen ihr Scheinwerferlicht auf eine grausame Szene: Weiße Männer kastrieren einen auf dem Boden liegenden dunkelhäutigen Mann, weil er sich mit einer weißen Frau eingelassen hat. Ed Kienholz’ 1972 auf der fünften Documenta in Kassel ausgestelltes Environment beklemmt den Besucher wie kein anderes. Der Betrachter betritt den Schauplatz, läuft über staubigen Boden um die Szene herum, blickt direkt in die grotesken Masken der lebensgroßen Figuren und wird hilfloser Zeuge der rassistischen Attacke.

Eine Anklage gegen Diskriminierung

Seit September ist Kienholz’ „Five Car Stud“, das erste Mal überhaupt, in den USA zu sehen. Zuvor war das Environment 40 Jahre lang in Japan eingelagert und von der Bildfläche verschwunden. Jetzt ist es als Teil der kalifornischen Großschau „Pacific Standard Time“ im LA County Museum of Artsaufgebaut. Es ist wohl das kraftvollste Statement zu Rassismus im Werk von Ed Kienholz, eine Anklage gegen Diskriminierung und Gewalt, ein Plädoyer für die Menschenwürde. Zur Entstehungszeit des Environments – er fertigte es zwischen 1969 und 1972 – gehörten gewalttätige rassistische Übergriffe noch zum amerikanischen Alltag.

Ein Jahr bevor Kienholz mit der Arbeit an „Five Car Stud“ begann wurde Bürgerrechtler Martin Luther King erschossen. Im ganzen Land brachen Unruhen aus, und mit dem Erstarken der Black Panthers gewann die Bewegung immer mehr internationale Aufmerksamkeit. Kienholz lebte und arbeitete in Los Angeles. Schon die Rassenunruhen im Stadtteil Watts im Jahr 1965, bei denen über 30 Menschen ums Leben kamen und über 1000 verletzt wurden, dürften ihn nachhaltig geprägt haben. Ein Jahr später präsentierte er sein Concept Tableaux „Black Leather Chair“. Im Mittelpunkt dieser Ideenskizze steht ein mit der Haut eines Afroamerikaners überzogener Stuhl, der auf dem Dachboden einer Familie in Texas stehen soll.

Nancy Kienholz über „Five Car Stud“ (engl.) auf dem Youtube-Channel des LACMA

Black Skin, White Masks

Die Bürgerrechtsbewegung konnte einige Rechte für Afroamerikaner erkämpfen, doch Segregation und Diskriminierung prägten weiterhin die amerikanische Gesellschaft. Afroamerikaner lebten in abgeschotteten Vierteln, viele von ihnen unter der Armutsgrenze – bis heute sich das nicht grundlegend geändert. Das Leben vieler Schwarzer war und ist ein Kampf um sozialen Aufstieg, der ihren weißen Landsleuten vorbehalten zu sein scheint. Kienholz 1988 realisiertes und gerade in der Schirn ausgestelltes Tableaux „Claude Nigger Claude“ veranschaulicht diesen Kampf in plakativer Kienholzscher Manier. Ein nachlässig gekleideter Mann dunkler Hautfarbe kurbelt einen Aufzug nach oben, in dem ein Geschäftsmann in Anzug und mit Aktentasche steht. Der Geschäftsmann hat weiße Hände, doch sein Gesicht, das er im Spiegel des Fahrstuhls betrachtet, ist nur das weiß bemalte Gesicht eines Schwarzen.

Mit diesem Phänomen beschäftigt sich bereits drei Jahrzehnte früher die einflussreiche Publikation „Black Skin, White Masks“ des kreolischen Psychoanalytikers und Philosophen Frantz Fanon. Das Buch erschien schon in den 1950er Jahren in französischer Sprache, wurde in den USA aber erst in den 1980er Jahren intensiv rezipiert. Fanon beschreibt darin die Selbstwahrnehmung von Farbigen in einer weißen Gesellschaft, in der sie ständiger Diskriminierung und dem herabwürdigenden Blick der Diskriminierenden ausgesetzt sind. Er stellt die Hypothese auf, dass der „Kolonisierte“ die kulturellen Codes des „Kolonisierenden“ nachahmt, um gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen.

Es macht mir immer noch Angst

Nachdem „Five Car Stud“ vor ein paar Jahren in schlechtem Zustand wieder in den USA eingetroffen war, restaurierte Nancy Reddin Kienholz, die Witwe des 1994 verstorbenen Künstlers, das Werk in mühevoller Kleinarbeit. In einem Interview sagte sie: „Ich kenne das Environment so gut, und trotzdem macht es mir immer noch Angst. Es bekümmert mich einfach, dass es in meinem Land in dieser Zeit einen solchen Hass gab. Und ich glaube, er ist immer noch da.“ Rassismus prägt noch heute die amerikanische Realität. Auch Europa hat ihn keineswegs überwunden, wie jüngst die Morde an senegalesischen Immigranten in Italien und der rechte Terror in Deutschland gezeigt haben. Ab März wird „Five Car Stud“ im Berliner Martin-Gropius-Bau im Rahmen der Ausstellung „Pacific Standard Time. Kunst in Los Angeles 1950 – 80” den Betrachtern wieder einen Schauer über den Rücken jagen.