Eine Ausstellung in Berlin gibt einen Überblick zum Schaffen Martin Kippenbergers. Seine letzten Bilder fehlen: Sie hängen in der SCHIRN.

Berlin feiert Martin Kippenberger dieser Tage im Hamburger Bahnhof mit einer Retrospektive. Es ist eine Ausstellung, die Spaß macht, in der man plaudern und herzlich lachen kann. Denn Kippenberger war ein Künstler mit Humor. Einer, der heiter die Kunstgeschichte und den Kunstbetrieb kommentierte und Gesellschaftskritik mit brachialer Ironie betrieb. Einer, der seinen ersten Bilder-Zyklus „Uno di voi, un tedesco in Firenze" gegen lebenslange Gratis-Verköstigung in der Westberliner Künstlerkneipe „Paris Bar" tauschte, die später zum Sujet seines berühmtesten Gemäldes wurde. Und einer, der selbst die dunkelsten Kapitel seines Lebens noch mit Humor nahm. 1996 diagnostizierte man bei Kippenberger Leberkrebs, da war er gerade mal 43 Jahre alt. Er begann seine letzten Werkserien. Und schuf die Bilder, die Pablo Picasso nicht mehr malen konnte.

Inspiriert dazu hatten ihn Fotografien von Jaqueline Roque, Picassos letzter Frau. Er adaptierte sie in zehn unbetitelten Porträts und fasste sie unter dem Titel „Jacqueline: The Paintings Pablo Couldn't Paint Anymore" zusammen. Sie zeigen Jacqueline zu Lebzeiten des spanischen Künstlergenies, das bei Kippenberger schlicht zu „Pablo" wird, und als Witwe in dessen Atelier, mal fröhlich mit üppigem Indianerkopfschmuck posierend, mal mit in Falten gelegtem, trauerndem Gesicht. Der Fotoreporter David Douglas Duncan hatte das Paar mehrere Jahre lang begleitet und seine Bilder 1988 in dem Fotoband „Picasso und Jaqueline" veröffentlicht. Kippenberger entdeckte das Buch bei einem Freund.

In schlabberiger Männerunterhose

Mit „Jacqueline: The Paintings Pablo Couldn't Paint Anymore" stellt Kippenberger seinen nahenden Tod dem Picassos gegenüber, setzt sich ganz selbstverständlich zu ihm in Beziehung. Er antizipiert die posthume Diskussion um sein eigenes Spätwerk und klinkt sich auch allgemein in die Debatte um die Spätwerke bedeutender Künstler ein -- kaum ein anderes wurde so angeregt diskutiert wie das von Picasso. Wie der Großmeister stilisierte sich auch Kippenberger zeitlebens zur Marke, aber immer mit ironisch distanziertem Blick.

Im Hamburger Bahnhof hängen seine Selbstporträts mit kugeligem Bauch und schlabberiger Männerunterhose. Auf einem Foto, das Duncan 1962 geschossen hat, trägt auch Picasso eine solche Unterhose. Vielleicht ist das kein Zufall. Schon im Alter von 25 Jahren hatte sich Kippenberger in der Erbfolge des ikonischen Spaniers eingereiht. Kippenberger, der neben Gemälden, Installationen, grafischen Arbeiten und vielem anderen auch jede Menge Bücher herausgab -- und das als Legastheniker -- gründete den „Verlag Pikasso's Erben". Den Anfangsbuchstaben seines Nachnamens mogelte er einfach in den des Vorbilds. 

Vorbei, aus, Ende.

Der als Enfant Terrible bekannte westdeutsche Künstler eignete sich seit Beginn seiner Laufbahn in den 1970er-Jahren so einiges ironisch an, was ihm aus Kunstgeschichte und Kunstbetrieb unterkam. Anstelle einer Jesusfigur posiert bei ihm ein Frosch am Kreuz. In der Audio-Arbeit „Ja, Ja, Ja, Nee, Nee, Nee" spricht er eine Fluxus-Performance von Joseph Beuys nach. Mit „Jacqueline: The Paintings Pablo Couldn't Paint Anymore" führt er schließlich die Aneignung an sich ad absurdum, denn er adaptiert etwas, das es gar nicht gibt, nicht mal geben kann. Die Unmöglichkeit unterstreicht er, indem er Jaqueline Picasso selbst zur fiktiven Urheberin erklärt: Die Porträts sind mit den Initialen J.P. unterschrieben.

Die in Duncans Fotobuch auf mehr als zehn Seiten abgebildeten Schwarz-Weiß-Bilder der trauernden Jaqueline scheinen Kippenberger tief berührt zu haben, denn in der humoristischen Serie schwingt auch ein deutlich melancholischer Ton mit. Was wir da sehen, ist vor allem tragisch. Ein Genie ist gestorben, und es hinterlässt neben einer Witwe und einem gigantischen Werkkomplex auch die Arbeiten, die nicht mehr entstehen können. Vorbei, aus, Ende. Doch Picasso wurde immerhin 91 Jahre alt. Kippenberger stirbt im Alter von 44 Jahren und mit ihm unzählige Arbeiten, die noch hätten entstehen können.