Die SCHIRN zeigt in der Ausstellung „Weltenwandler. Die Kunst der Outsider“ 29 Holzarbeiten von Karl Junker. Das Konvolut stammt aus dem Junkerhaus in Lemgo.

Düster ist es und nass. Der Mischwald, der für Ostwestfalen typisch ist, schimmert schwarzbraun: Buchen, Eichen, Fichten und Tannen. Aus diesem Holz hat Karl Junker sein wundersames Haus geschnitzt.

Kalt ist es im Junkerhaus, die Öfen heizen nicht, elektrisches Licht gibt es – bis auf eine Ausnahme – nicht: Der Originalzustand des Hauses soll sich unmittelbar vermitteln. Es wirkt beunruhigend, dunkel, überladen, erdrückend. Kein Platz ist ungenutzt, Schnitzereien sind allgegenwärtig. Man fühlt sich seltsam befangen und gefangen, besonders in dem Vestibül, das an eine Art Spinnennetz erinnert. Wie eine Wohnhöhle, einen Uterus, hat Junker sein Haus gestaltet.

Leben und Legenden

Karl Junker (1850–1912) ging in die Schreinerlehre und war als Geselle auf Wanderschaft, bevor er nach einer Italienreise und dem Militärdienst die Kunstgewerbeschule in München besuchte, um Architekt zu werden. Seine Eltern starben früh, nach dem Tod des Großvaters erbte er ein Vermögen, das ihn finanziell unabhängig machte und einen Wechsel auf die Kunstakademie in München zuließ. In den 1880er-Jahren kehrte er nach Lemgo zurück und stellte den Bauantrag für das Haus in der Hamelner Straße. Von 1889 an arbeitete er daran – bis zu seinem Tod.

Karl Junker in seinem Atelier, (Fotomontage). Ansichtskarte, um 1905.

Junkers Werk, das wegen der Verbindung aus Architektur, Skulptur und Malerei als Gesamtkunstwerk interpretiert wird, umfasst – abgesehen vom Haus – rund 200 Gemälde, 750 Zeichnungen und Fragmente und 61 Skulpturen, die Junker in sein organisches Environment integrierte.

Über die Frage, ob Junker, der einsam lebte und als verschroben galt, es für sich alleine, als Kunstwerk und Museum oder aus dem Wunsch nach einer Familie heraus gestaltete, gehen die Ansichten auseinander. Ein Mythos besagt, dass Junker ein unglücklich Liebender war und ihn der Wunsch nach einer Familie beseelte. Gerhard Kreyenberg schreibt 1922: „Stets trug er sich mit Gedanken, in dieses Haus eine Gattin einzuführen“. Aus Gram über Zurückweisungen soll er sein Leben dem Verzieren des Hauses gewidmet haben.

Die Räume im ersten Stock entsprechen in Raumaufteilung und Mobiliar einem Familienwohnhaus: ein Kinderzimmer mit Engelsbildern an den Wänden, ein Elternschlafzimmer mit Doppelbett, ein großer Salon und ein Esszimmer. Dort ist auch ein Bildnis im Innenteil eines Wandschranks, das einen Mann mit Hut, eine Frau und ein Kind zeigt. Ein Selbstporträt und die Bestätigung der These einer unerwiderten Liebe? Oder erschuf Junker eine Musterwohnung, die er den Besuchern seines „Museums“ präsentierte?

Restauratorische Untersuchungen haben ergeben, dass der erste Stock des Hauses kaum genutzt worden ist, wohl aber die Räume in Erdgeschoss mit Arbeitsraum, Atelier, Küche und Plumpsklo sowie ein beheizbarer Raum im zweiten Geschoss – mit Blick auf die Lemgoer Altstadt. Saß Junker dort am Fenster und beobachtete das Geschehen?

Blick in den Treppenbereich, das Vestibül.

Restaurierung schützt die Objekte

Überliefert ist auch, dass Junker sich mit Richard Wagner verglichen haben soll und wie dieser vorgehabt hätte, einen neuen Stil zu entwickeln. Die Selbstdarstellung als verkanntes Genie – ein Künstlertopos des 19. Jahrhunderts – findet ihren Ausdruck in dem Thron, den er für sich gefertigt hat, und der in seinem Atelier steht.

Ob ein horror vacui, die Angst vor der Leere, ein Antrieb für Junkers Kunstproduktion war? Oder ist die erstmals von Kreyenberg vermutete Schizophrenie Junkers der Grund für seine obsessive Ausgestaltung aller Räume bis in die feinsten Details? Über eine pathologische Ursache von Junkers Gestaltungstrieb, der Junkerlegende, wird seit den 1920ern diskutiert. In einer Psychiatrie war Junker allerdings nie.

Seit der großen Restaurierung des Hauses von 1999 bis 2004 kann man nicht mehr in den Räumen umherschreiten, sondern sie nur noch über sogenannte Brücken einsehen. Der zweite Stock ist wegen der Enge für Besucher geschlossen. Der Grund dafür ist die Fragilität der Objekte, aber auch, dass Besucher zu viele Spuren hinterlassen haben. So haben souvenirhungrige Besucher Holzstücke aus Objekten herausgebrochen und mitgenommen, manche haben sich mit Kugelschreibern auf den Innenseiten des Mobiliars verewigt. Nun wird die Feuchtigkeit bekämpft, der Keller geheizt, Warmwasserschläuche wärmen die Wände, Drainage schützt vor Wasserschäden. „Der Alterungsprozess ist nicht aufhaltbar. Aber er wird verlangsamt“, sagt Museumsdirektor Jürgen Scheffler.

Spuren von Kugelschreibern und Filzstiften in einem Schrank des Junkerhauses.

Weitere Forschung möglich

Ein Unikat ist das Künstlerhaus gewiss. Nichtsdestotrotz existierten im 19. Jahrhundert architektonische Referenzen, die Junker gekannt haben dürfte – wie zum Beispiel die von Antoni Gaudí gestaltete „Sagrada Familia“ in Barcelona, die Villa Stuck in München, das Schwanthaler Museum München, das Atelier Hans Makart in Wien oder Ferdinand Chevals „Palais idéal“.

Polstermöbel, Stühle, Ohrensessel, Betten, Nachttische, Regale, Schränke, Tische und ein Thron. Karl Junker hat mit unbändiger Schaffenskraft und Liebe zum Detail sein komplettes Haus gestaltet und verziert. Während seines Studiums hat er sich mit kunstgeschichtlichen Einflüssen und zeitgenössischen Strömungen beschäftigt. Typisch für einen Bau des Historismus finden sich Verweise auf eine Vielzahl von architektonischen Einflüssen: Gotik, die Architektur des Palladio oder die Weserrenaissance. Die Ornamentik lässt an die künstlerische Avantgarde des Jugendstils denken. Der „primitive“ Stil erinnert an die Arbeiten eines Gauguin. In Junkers Formensprache wiederholen sich in den Holzarbeiten die Motive abstrakter und floraler Ornamente oder die Darstellung von Personen, die an die handwerklich-rustikale Bewegung „Arts and Crafts“ von William Morris und John Ruskin aus dem 19. Jahrhundert denken lassen.

Junkers Gemälde zeigen familiäre und christliche Szenerien sowie antike Personengruppen. Eine Vermutung ist, dass Junker Abbildungen von Schutzgöttern des Hauses als Inspiration genutzt haben könnte, die er vermutlich im freigelegten Pompeji während seiner Italienreise gesehen hatte. Posthum wurde Junker 1913 in eine Ausstellung der Künstlergruppe „Neue Secession“ in Berlin aufgenommen. Eine These ist, dass Junker einen Beitrag zur Neubebauung der Berliner Museumsinsel plante: ein „Museum für christliche Skulpturen“.

Zum hundertsten Todesjahr von Junker soll dem vergriffenen Katalog eine Publikation mit Fotografien und Beiträgen renommierter Junker-Experten nachfolgen. Das wissenschaftliche Interesse an Junkers Werk ist da, und Forschungsthemen gibt es genug.
Florian Leclerc

Weitere Forschung möglich

Ein Unikat ist das Künstlerhaus gewiss. Nichtsdestotrotz existierten im 19. Jahrhundert architektonische Referenzen, die Junker gekannt haben dürfte – wie zum Beispiel die von Antoni Gaudí gestaltete „Sagrada Familia“ in Barcelona, die Villa Stuck in München, das Schwanthaler Museum München, das Atelier Hans Makart in Wien oder Ferdinand Chevals „Palais idéal“.

Polstermöbel, Stühle, Ohrensessel, Betten, Nachttische, Regale, Schränke, Tische und ein Thron. Karl Junker hat mit unbändiger Schaffenskraft und Liebe zum Detail sein komplettes Haus gestaltet und verziert. Während seines Studiums hat er sich mit kunstgeschichtlichen Einflüssen und zeitgenössischen Strömungen beschäftigt. Typisch für einen Bau des Historismus finden sich Verweise auf eine Vielzahl von architektonischen Einflüssen: Gotik, die Architektur des Palladio oder die Weserrenaissance. Die Ornamentik lässt an die künstlerische Avantgarde des Jugendstils denken. Der „primitive“ Stil erinnert an die Arbeiten eines Gauguin. In Junkers Formensprache wiederholen sich in den Holzarbeiten die Motive abstrakter und floraler Ornamente oder die Darstellung von Personen, die an die handwerklich-rustikale Bewegung „Arts and Crafts“ von William Morris und John Ruskin aus dem 19. Jahrhundert denken lassen.

Junkers Gemälde zeigen familiäre und christliche Szenerien sowie antike Personengruppen. Eine Vermutung ist, dass Junker Abbildungen von Schutzgöttern des Hauses als Inspiration genutzt haben könnte, die er vermutlich im freigelegten Pompeji während seiner Italienreise gesehen hatte. Posthum wurde Junker 1913 in eine Ausstellung der Künstlergruppe „Neue Secession“ in Berlin aufgenommen. Eine These ist, dass Junker einen Beitrag zur Neubebauung der Berliner Museumsinsel plante: ein „Museum für christliche Skulpturen“.

Zum hundertsten Todesjahr von Junker soll dem vergriffenen Katalog eine Publikation mit Fotografien und Beiträgen renommierter Junker-Experten nachfolgen. Das wissenschaftliche Interesse an Junkers Werk ist da, und Forschungsthemen gibt es genug.
Florian Leclerc