Bernhard Schreiner lebt und arbeitet in Frankfurt. Der Künstler arbeitet mit Klang, in seinen Werken ist er der Musikgeschichte auf der Spur. Das Label Soundkünstler empfindet er trotzdem als zu eng.

Ich öffne die Tür zu Bernhard Schreiners Atelier und platze mitten in eine Bandprobe. Laut, massiv, flächig. So lässt sich der Sound beschreiben, den Schreiner und der aus Kalifornien stammende Künstler Alan B. Brock-Richmond entstehen lassen. „Drone-Musik“, sagt Schreiner. Die beiden sind schon öfter zusammen aufgetreten, im Frankfurter Kunstverein, in der Städelschule, beim „Donaufestival“ in Krems und zuletzt im Palmengarten, im Rahmenprogramm der Ausstellung über Hélio Oiticica des Museums für Moderne Kunst.

Bernhard Schreiner hat schon in einigen Bandprojekten gespielt. Häufig bestanden diese Bands aus Schülern der Städelschule. Schreiner studierte von 1991 bis 1998 an der Kunsthochschule. Mit seinen künstlerischen Arbeiten will er die Musikprojekte aber nicht in einen Topf werfen. „Das sind unterschiedliche Sphären“, sagt er. Trotzdem ist es so, dass Klang eine zentrale Rolle in seinem Werk einnimmt. Während er früher vor allem mit dem Medium Film arbeitete, sind es heute meistens Sound-Installationen, mit denen Schreiner auf sich aufmerksam macht.

Für ihn ist das kein Bruch, sondern eine logische Entwicklung. „Sound ist gar nicht so weit vom Film entfernt, wie man denkt, vor allem nicht vom Tonfilm: Dort werden Ton und Bilder ja auch immer getrennt aufgenommen“, sagt Schreiner. Im Independent-Film, dem er sich nahe fühlt, gibt es die perfekte Synchronisierung von Ton und Bild, wie sie das Hollywood-Kino pflegt, so gut wie nie. Entweder, weil die technischen Mittel dafür fehlen – oder weil die Künstler es grundsätzlich viel spannender finden, auf experimentelle Weise mit den Ebenen Bild und Ton zu arbeiten. Der Ton ist dabei dann immer auch etwas Eigenes, steht für sich. Strenge Kategorisierungen stören Schreiner sowieso: „Jahrelang war ich immer nur der Filmemacher Bernhard Schreiner, jetzt bin ich plötzlich der Soundkünstler. Das ist mir alles viel zu eng.“ Worauf man sich vielleicht einigen könnte, wäre Found-Footage-Künstler. Denn Schreiner arbeitet gerne mit Vorgefundenem, mit Material, das andere haben entstehen lassen. Fremde Filme, Bilder, Fotos oder Klänge verwandelt er in Neues.

Sein Atelier teilt er sich mit Peyman Rahimi. Kennengelernt haben sich die beiden als Studenten an der Städelschule. Früher war der Raum mal ein Weinladen, dann ein Fotostudio, vor beinahe zwei Jahren haben die beiden Künstler ihn bezogen. Im hinteren Teil des Ateliers haben sie ihre Schreibtische. Bei Schreiner stapeln sich darauf Laptop, Mischpult, Effektgeräte, Stifte und Kabel –und über allem thront ein voller Aschenbecher. Auf dem Fußboden ein altes Keyboard und noch viel mehr Kabel. Im vorderen Teil des Raums stehen Vitrinen, die das Städelmuseum vor ein paar Jahren aussortiert hat. Darin: alte, analoge Rhythmusmaschinen. Hergestellt wurden sie allesamt vor den 1980er-Jahren, also noch vor der Erfindung des Drumcomputers. Man kann diese Maschinen als Artefakte der Popgeschichte bezeichnen. Den Sound von Bands wie Can, Suicide, Blondie oder Depeche Mode haben sie maßgeblich geprägt. In der Arbeit „Holding Patterns (Super Variation)“ hat Schreiner 17 dieser Rhythmusmaschinen zu einer Installation arrangiert. Die Drumsounds, die die Geräte erzeugen, haben sich dabei überlagert. So konnte eine neue – im Grunde zufällige – Klangstruktur entstehen.

Noch so ein Spiel mit der Musikhistorie sind Schreiners Bilder von Musikern, bei denen er die Instrumente wegretuschiert. Da sieht man dann zum Beispiel den weltberühmten Pianisten Glenn Gould. Seine Hände scheinen in der Luft zu schweben, die Augen hat er fest geschlossen. Seine Konzentration meint man förmlich zu spüren. „Geisterbilder“ nennt Bernhard Schreiner diese Arbeiten. Aber sind diese Bilder überhaupt noch Musikerporträts, wenn „das Wichtigste fehlt“? Macht unsere Erinnerung sie dazu? Oder verschiebt sich die Bedeutung der Gesten des Musikers, wenn sein Werkzeug verschwindet? Schreiners Arbeiten fordern zum Nachdenken auf, stellen in Frage, was wir als authentische Bilder wahrnehmen.