Anstehen von über drei Stunden ist bei Museen keine Seltenheit. Max Hollein stellt deshalb Museen vor, die ebenfalls atemberaubende Kunst beheimaten, aber kein übermäßiges Stehvermögen erfordern.

Der Museumsbesuch zählt zum Pflichtprogramm des modernen Städtetourismus. Wenn Sie nach Paris fahren, wollen Sie in den Louvre, in Rom in die Vatikanischen Museen und in London in die Tate Gallery. Ihr Problem: Millionen anderer wollen das auch, und so ist man beim Gang zur Mona Lisa oder beim Blick auf die Decke der Sixtinischen Kapelle dann doch nicht so alleine, wie man es sich vielleicht gewünscht hatte.

Einen besonderen Kulturgenuss findet man in diesen Metropolen jedoch auch abseits der touristischen Hauptschlagadern: Versuchen Sie es einmal mit Museen, die nicht jeder kennt, die aber ein außerordentliches Erlebnis bieten -- und die Sie nach dem Besuch darüber hinaus als Kenner ausweisen.

In Paris zum Beispiel ist das hierzulande weithin unbekannte Musée Gustave Moreau sehr zu empfehlen: Das ehemalige Atelierhaus dieses bedeutenden französischen Symbolisten im IX. Arrondissement ist ein faszinierender Ort, und wenn Sie über die gusseiserne Wendeltreppe die obere Etage betreten, entfaltet sich eine Bilder-, Farb- und Eindruckswelt, die ihresgleichen sucht. Moreau gilt auch als der große Vorläufer der Surrealisten.

In London sollten Sie einmal nicht das British Museum besuchen, sondern eine ganz andere enzyklopädische Wunderkammer, das Lieblingsmuseum vieler Künstler und Museumsdirektoren: das Sir John Soane's Museum. Dieser britische Architekt und Erbauer der Bank of England hat Anfang des 19. Jahrhunderts seine Wohnhäuser in eine einzigartige Schatzkammer verwandelt. Sie zeigt das Werk dieses bedeutenden Neoklassizisten eingebettet in eine formidable Referenzsammlung von Zeichnungen, Gemälden und Plastiken.

Und wenn Sie schon die Begeisterung für solche opulenten Londoner town houses entwickelt haben, sollten Sie dann gleich auch bei der Wallace Collection vorbeischauen, deren reiche Interieurs auch eine der weltweit herausragenden Sammlungen französischer Kunst des Rokoko beheimaten -- inklusive der berühmten lasziven Schaukel von Fragonard.

Eine Person aus dem amerikanischen Pittsburgh war nach einem Besuch von der Sammlung von Richard Wallace so beeindruckt, dass dies noch größere Folgen für den amerikanischen Kontinent haben sollte. Mit einem ähnlichen Kunstgeschmack und grenzenlosen Mitteln ausgestattet, hatte der amerikanische Industrielle Henry Clay Frick nach dem Londoner Vorbild die Frick Collection Anfang des 20. Jahrhunderts auf der New Yorker Upper East Side errichtet -- heute das sicherlich charmanteste, geliebteste und intimste der großen New Yorker Museumshäuser -- und eine herausragende Sammlung von der Renaissance bis zum 19. Jahrhundert.

Nirgendwo an der Fifth Avenue verbringt man, umgeben von den bedeutendsten Alten Meistern und Klassikern der Moderne, einen schöneren Nachmittag als in dieser besonderen Oase der Hochkultur.

Vielleicht kein Geheimtipp mehr, aber sicherlich noch immer die bessere Alternative zu den Besucherschlangen vor den Vatikanischen Museen, sind die große Parkanlage und das Museum der Villa Borghese in Rom, dessen Sammlung zurückgeht auf den Kardinal Scipione Caffarelli-Borghese. Wahrlich nicht nur die spektakulären Caravaggios sind in diesem Palazzo besonders sehenswert.

Und abschließend noch ein Tipp für den Liebhaber von Kunst, Alltagskultur und Literatur: In Barcelona sollten Sie unbedingt das Museu Frederic Marès besuchen. Es befindet sich in einem mittelalterlichen Gemäuer, wo zeitweise auch die Inquisition ihre Urteile gefällt hat, und umfasst neben einer wertvollen Skulpturenausstellung auch eine Sammlung von Sammlungen -- es ist damit auch Abbild des ewigen Menschentriebes, wirklich alles sammeln und ordnen zu können.

Raum um Raum durchschreitet man hier faszinierende Zusammenstellungen von Haarkämmen, Spazierstöcken, Zigarrenbanderolen, Fächern und vielem mehr. Der Bildhauer und manische Kollektor Frederic Marès muss von seinen Reisen immer mit viel Gepäck in seine spanische Heimatstadt zurückgekehrt sein -- ein Glück, dass er seine Objekte, deren Zahl in die Zehntausende geht, Mitte des 20. Jahrhunderts der Öffentlichkeit übergeben hat. Entstanden ist eines der beeindruckendsten und charismatischsten Museen über das Sammeln an sich.

Für den Nobelpreisträger Orhan Pamuk war es eine Inspiration für sein berühmtes Buch Das Museum der Unschuld -- aus dem Pamuk dann selber ein Museum gemacht hat, das man nun in Istanbul besuchen kann -- und hier nun wieder den nächsten angehenden Sammler- und Museumsgründer beeinflussen wird.

Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung des BILANZ MAGAZINS. Direktor Max Hollein veröffentlicht dort monatlich die Kolumne "Holleins Kunstwelt".