Direktor Max Hollein über die Auswirkungen des Internets auf den Kunstmarkt und die Sammler.

Digital changes everything -- auch den internationalen Kunstmarkt: Der Handel mit einzigartigen, fragilen Pretiosen, die persönlicher Vermittlung und fundierter Erläuterung bedürfen, galt vielen bislang als eine der wenigen Bastionen, deren Geschäftsprinzip (aufgebaut auf Vertrauen und Langfristigkeit) sich als gefeit erweisen würde gegen die Innovationen der digitalen Techniken. Doch schon ein so simples Werkzeug wie das iPad sorgte vor vier Jahren für ein neues Verkaufsgebaren: kein findiger Galerist auf den Kunstmessen in Basel, London oder Miami, der nicht an seinem Stand dem Kunden sofort auch andere Objekte auf dem Bildschirm zeigen konnte und diese dann noch während der Messe umgehend per E-Mail an den Interessenten verschickte.

Während es früher für Sammler undenkbar gewesen war, hochpreisige Werke zu kaufen, ohne sie vorher in Augenschein genommen zu haben, wird heute ein guter Teil des Handels nur über digitale Abbildungen abgewickelt. So wie man Schuhe über Handelsplattformen kauft, ohne sie vorher anprobiert zu haben, erwirbt man nun Kunstwerke, ohne dass man sie vorher im Original gesehen hätte: Man verlässt sich auf hochauflösende Abbildungen. Dies ist bequemer, billiger -- und vor allem schneller. Der Kunde erspart sich Zeit und Aufwand für eine Besichtigung, und der Händler gewinnt einen neuen, lokal nicht gebundenen Kundenstamm.

Nicht nur die Umschlagrate von Kunstwerken erhöht sich dadurch, auch potenzielle Käufer werden unter Druck gesetzt, zügiger ihre Entscheidungen zu treffen. War es früher durchaus üblich gewesen, einige Wochen lang auf den angekündigten Besuch eines Interessenten zu warten, muss sich dieser heute nicht selten innerhalb von 24 Stunden nach Zusendung der Bilddatei entscheiden -- denn andere Sammler haben schließlich zeitgleich dieselben Informationen erhalten wie er.

Die für einen kleinen Jahresbeitrag jedermann zugänglichen Kunstpreisdatenbanken wie Artnet.com oder Artprice.com haben für eine Nivellierung des früher vorherrschenden Informationsgefälles zwischen Kunsthändler und Kunden gesorgt. Alle Auktionsverkäufe weltweit sind in diesen Datenbanken abrufbar. So lässt sich nicht nur für den Profi die aktuelle Bewertung eines Werks ermitteln, sondern auch das Marktniveau aller Künstler, die je über Auktionen gehandelt wurden, umgehend und relativ zuverlässig feststellen.

Jedem angehenden Sammler sei dringend ans Herz gelegt, hier hineinzuschauen. Denn er kann innerhalb von Sekunden nachvollziehen, wie viel der Händler, bei dem er kaufen will, selbst für eine Auktionsware gezahlt hat, und wie hoch mithin dessen Gewinnspanne ausfällt. Die größte Veränderung indes ruft die Entwicklung des Online-Auktionshandels hervor. Die Zeichen der Zeit stehen auf massive Vergrößerung des Kunstmarkts und auf den Abbau der früher als geschäftsfördernd angesehenen, elitären Hemmschwellen der traditionsreichen Auktionsgiganten: Der Kunstmarkt ist nicht mehr ausschließlich den oberen Zehntausend vorbehalten. Nein, alle Anbieter drängen ins mittlere Segment, dorthin, wo das meiste Geld zu verdienen ist.

Während bei den absoluten Spitzenlosen die Marge für das Auktionshaus entgegen landläufiger Meinung sehr gering ist (denn sowohl Einbringer als auch Erwerber handeln häufig Sonderkonditionen aus, um mit einem Starstück einen Auktionsrekord zu erzielen, der dann wiederum medial ausgeschlachtet wird), lässt sich bei sogenannter Massenware viel mehr verdienen -- besonders dann, wenn eine große, internationale Käuferschicht kostengünstig und zeitgleich über das Internet angesprochen wird. Jedes halbwegs professionelle Auktionshaus hat mittlerweile seine Kataloge digitalisiert und ein sogenanntes online-bidding ermöglicht. Gleichermaßen online wickeln sie den Nachverkauf der liegen gebliebenen Lose ab.

Folgerichtig unternimmt Sotheby's den Anlauf, seine Kompetenz und Marke mit einem der größten Warenumschlagplätze im Internet zu verbinden, nämlich mit Ebay: Schon im April diesen Jahres haben die beiden Unternehmen damit begonnen, ausgewählte Auktionen direkt im Internet zu übertragen. Dies ist eine klare Ansage: Man will den Massenmarkt bedienen und ein neues Publikum ansprechen. Das ehrwürdige, 1744 gegründete Auktionshaus Sotheby's geht ein nicht unerhebliches Image-Risiko ein, wenn es sich mit dem weltweit größten Internetwarenumschlagplatz verbindet. Für den Kunden freilich ist es eine gute Nachricht. Auch Netz-Auktionshäuser wie Paddle 8 oder Auctionata locken mit niedrigeren Gebühren und geringeren Kosten als die Traditionshäuser, die beim Kauf mindestens 25 Prozent Aufschlag erheben und weitere Spesen berechnen.

Die wahre Zukunft allerdings liegt in der Integration einer komplexen Verwertungskette von Kunstrezeption, Kunstinterpretation und Kunstverkauf. Diesen Weg schlägt derzeit der Kunstbuchverlag Phaidon ein, der sich sicherlich bald zu einer komplexen Kunstplattform wandelt. Leon Black, hauptberuflich höchst erfolgreicher leveraged-buyout-König mit seinem Unternehmen Apollo Global Management, ist nebenbei einer der größten Kunstsammler und hat 2012 den Phaidon-Verlag erworben. Nun, durch die Akquisition und bevorstehende Integration der Kunstmarktplattform Artspace.com unternimmt man nicht nur den Versuch, die Verwertungskette zwischen Kunstinformation, -publikation und -verkauf enger zu verknüpfen, sondern die Grenzen zwischen Kunden als Kunstinteressenten, Kunstliebhaber und Kunstkäufer verschwinden zu lassen: „Sie mögen Bücher über Picasso? Dann könnten Sie auch diese erhältlichen Druckgrafiken interessieren."

Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung des BILANZ MAGAZINS. Direktor Max Hollein veröffentlicht dort monatlich die Kolumne "Holleins Kunstwelt".