Im idyllischen Woodstock besucht Kuratorin Ingrid Pfeiffer das Haus und Studio des großen Malers Philip Guston. In New York begegnet sie zu ihrer Freude zwei meisterhaften Impressionistinnen und besucht eine großzügige Frieze Art Fair.

Der amerikanische Maler Philip Guston (1913-1980) ist ein typischer „Künstler-Künstler“ – kaum erwähne ich seinen Namen, bricht jeder Künstler, den ich treffe, in Begeisterungsstürme aus! Wenn ich dann ankündige, dass wir im November in der Schirn sein Spätwerk zeigen werden, sagt jeder: "Oh, wie wunderbar! Ich komme!" Doch woran liegt das?

Guston ist vor allem in den USA eine mythische Figur mit einem bemerkenswerten Lebenslauf – von frühen figurativen, von Picasso und de Chirico beeinflussten Werken der 1930er- und 40er-Jahre hin zu einer sehr erfolgreichen abstrakten Phase in den 1950er- und 60er-Jahren. In dieser Periode galt Guston bereits als wichtiger Protagonist des abstrakten Expressionismus neben Jackson Pollock, Robert Motherwell, Franz Kline, Willem de Kooning und anderen. Viele Museen kauften bereits in den 1960er-Jahren seine Bilder und es erschienen umfangreiche Bücher von bedeutenden Kunstkritikern über ihn. Er schien seinen Platz in der Kunstgeschichte schon gefunden zu haben. 

Doch um 1970 kam es zu einem unerwarteten Bruch in Gustons Werk, der damals nur von wenigen Zeitgenossen verstanden wurde: In den letzten zehn Jahren seines Lebens zog sich Guston in sein Haus und Studio nach Woodstock zurück und schuf etwas aus damaliger Sicht Ungeheuerliches – eine an Comics erinnernde skurril-großartige Welt voller dicker Köpfe, Schuhe, Zigaretten und Malutensilien, allesamt großformatige Selbstporträts einer hoch gebildeten, aber auch höchst melancholischen Künstlerseele. Mit diesen nun wiederum ausgesprochen figurativen Gemälden nahm Guston so manche zukünftige Entwicklung vorweg und ist wohl auch deshalb ein solch wichtiger Bezugspunkt für jüngere Künstler geworden.

In Vorbereitung der Ausstellung "Philip Guston. Das große Spätwerk" führte mich meine Reise diesmal nicht nur nach New York, sondern auch an den Ort, der diese Bilder hervorgebracht hat. Versteckt zwischen waldigen Hügeln und auch heute noch still und abgelegen zeigt sich Gustons Haus und Studio. Es wirkt sehr bescheiden, wenn man bedenkt, welche Bedeutung Guston als Sammelobjekt für Museen gewonnen hat: Wir haben Leihgaben aus dem MoMA, dem Stedelijk Museum Amsterdam und dem Pompidou Paris. Auch auf dem Kunstmarkt erreichen Gustons Bilder inzwischen astronomische Preise. Es ist aufregend, in seinem Studio die Pinsel und Farben zu sehen, die noch dastehen, als ob der Künstler sie kürzlich erst zurück gelassen hätte. Viele dieser Details finden sich auch in Gustons Bildern.

Gustons Tochter Musa und der Nachlass tun alles, um das Andenken zu bewahren und die wissenschaftliche Bearbeitung seines Werkes voran zu treiben. Diese Familie und die anderen Guston-Enthusiasten kennenzulernen und die Atmosphäre des Studios zu erfahren, gehört zu den Höhepunkten einer solchen Ausstellungsvorbereitung.

Nach der zweistündigen Autofahrt nach Woodstock durch eine waldige und diesmal regnerische Hügellandschaft scheint das hektische New York sehr fern. Woodstock war im 20. Jahrhundert ein bekannter Künstlerort, und es lieferte tatsächlich zu Unrecht den Namen für das berühmte Festival 1969, denn nach Protesten der Dorfbewohner fand es letztendlich im 70 Kilometer entfernten Bethel auf einer Farm statt! Doch der Ort Woodstock profitiert bis heute von diesem Ruf und atmet noch die Reste der Hippiekultur mit idyllischen kleinen Läden und Cafés.

Der andere Anlass für die New York-Reise war die Frieze Art Fair, die in diesem Jahr zum zweiten Mal Anfang Mai auf Randall’s Island stattfand. Noch größer und mit noch mehr Beteiligung namhafter Galerien als im letzten Jahr hat sich diese zweite große Messe in New York – neben der Armory Showim März – offenbar fest etabliert. Das lang gestreckte weiße Zelt wirkt ausgesprochen großzügig, und selbst bei der Eröffnung gab es kein Gedränge – ganz im Gegensatz zu den Kunstmessen in Basel, London oder Maastricht. Durch große Fenster schaut man auf den East River und die New Yorker Skyline. Auch die Tour mit der Fähre von der 35. Straße aus und dann an New York entlang ist besonders abends dank der beeindruckenden Lichter der Stadt ein Genuss.

Von Jahr zu Jahr verändert sich auch in New York die Kunst- und vor allem die Galerienszene. Die gestiegenen Immobilienpreise in Chelsea und der ewige Expansionsdrang der großen Galerien – schon wieder hat Zwirner neue Räume und auch Hauser & Wirth sind jetzt in musealer Größe dort vertreten – hat dazu geführt, dass sich immer mehr kleinere und jüngere Galerien in der Lower Eastside niedergelassen haben, und ein Rundgang dort (in LES) lohnt für diejenigen, die noch Neues entdecken wollen. Während es früher in Chelsea viele Galerien in den oberen Etagen gegeben hat, ist der Trend nun, lieber in eine günstigere Gegend, aber dann ins Erdgeschoß zu ziehen. Die Besucher wollen offenbar weder Treppen noch Aufzüge benutzen.

Vieles ändert sich in Chelsea, und nicht immer zum Besseren. Wie lange wird es wohl noch die typischen Autowerkstätten zwischen den Galerien geben, und wann werden die bunten Läden aufmachen wie in Soho, das noch bis zum Ende der 1990er-Jahre das große Galerienviertel in New York war? Purer Kommerz ist bekanntlich irgendwann der Tod der Kunst. Der raue Charme der ersten Jahre in Chelsea bröckelt, und nur, indem Galerien immer größer werden (und die Formate der Kunst darin gleich mit), steigt nicht ihre Attraktivität und erst recht nicht ihre Bedeutung – es sei denn, man setzt Preise mit Bedeutung gleich – aber so weit sind wir (zumindest in Europa) doch noch nicht.

Eine Galerie, die seit vielen Jahren gleich geblieben ist, sowohl hinsichtlich der Schönheit und Harmonie der Räume als auch bezüglich der hohen Qualität der Kunst, ist Paula Cooper. Im großen Space werden wunderbare Metallplastiken des Klassikers Mark di Suvero gezeigt und gegenüber mit dem Filmpionier Bruce Conner wieder eine Entdeckung präsentiert. Sein Werk war schon 1961 in der berühmten MoMA-Ausstellung „The Art of Assemblage“ zu sehen und lohnt jetzt eine Neubetrachtung.

Eine Ausstellung, die ich in Paris verpasst habe, konnte ich nun doch noch im Metropolitan Museum sehen: „Impressionism, Fashion, and Modernity“. So wenig innovativ ich das Konzept der Ausstellung finde – Vitrinen mit Kleidern aus dem 19. Jahrhundert parallel zu Gemälden – so sehr habe ich mich gefreut, viele Hauptwerke von Édouard Manet, aber auch vor allem von Berthe Morisot und Eva Gonzalès (wieder) zu sehen! Manche Werke von letzterer sind erst nach meiner „Impressionistinnen“-Ausstellung in der Schirn 2008 aufgetaucht beziehungsweise waren damals noch in unbekannten Privatsammlungen, deshalb konnte ich sie nicht einbeziehen. Auch dank unserer damaligen Forschungsarbeit sind mittlerweile Morisot und Gonzalès aus solchen großen Themenausstellungen nicht mehr wegzudenken. Dadurch werden sie mehr und mehr ins Bewusstsein eines großen Publikums gerückt, so wie sie es verdienen! Auch in dieser Ausstellung in New York fiel Morisots unnachahmlich moderner Pinselstrich auf sowie ihre ungewöhnliche Benutzung von Weiß als vorherrschender Farbe. Darin unterscheidet sie sich von allen (männlichen) Zeitgenossen. Und was die Technik des Pastells betrifft, hat kaum ein anderer Künstler des Impressionismus darin eine solche Meisterschaft erreicht wie Eva Gonzalès. Es war wunderbar, diese Arbeiten zu sehen, ungeachtet der in meinen Augen sehr konventionellen Präsentation.

Nur wenige Tage hat man in New York, das Programm ist jedes Mal angefüllt, bis die Aufmerksamkeit schwindet und man kaum noch all die Eindrücke verarbeiten kann. Mein Besuch hat mich weiter darin bestärkt, dass Philip Guston ein Künstler ist, den man unbedingt im Original sehen muss – kaum ein anderer kommt auf Abbildungen so wenig zur Geltung wie er. Steht man aber vor dieser überwältigenden MALEREI, so weiß man wieder, was Malerei wirklich kann und soll – eine solche Vitalität springt aus diesen Bildern, eine solche Kraft, dass ich gleich an Picasso denken musste, eines von Gustons sehr bewunderten Vorbildern. Die These ist – und das soll die Ausstellung im November zeigen – dass Guston in den 1970er-Jahren einer der besten Maler der westlichen Welt war.