Mit ihrer konzeptuellen Fotografie erforscht Viktoria Binschtok zeitgenössische Bildwelten. Gerade ist in der Schau "Paparazzi!" ihre Serie "Flash" zu sehen. Wir trafen die Künstlerin in ihrem Berliner Studio zum Gespräch.

Schirn Magazin: Viktoria Binschtok, Sie arbeiten gerade an der "Cluster Series". Sie wird im November auf der Messe Paris Photo und demnächst auch in verschiedenen Ausstellungshäusern zu sehen sein. Darin treffen Würfel auf Messgeräte, Spielzeug-Roboter auf Blumenvasen, bunte Pillen auf Fußball-Sammelkarten. Wie kommen Sie auf diese Motive?

Viktoria Binschtok: Die Ideen zu diesen Motiven finde ich über Bildsuchmaschinen. Ich speise ein Bild ein und der Algorithmus sucht Bilder nach größter Übereinstimmung von Form, Farbe und weiteren Parametern. So finde ich zum Beispiel Dokumentaraufnahmen, Produktfotografien und viele Bilder von selbstgemachten Dingen, die auf die stetig wachsende Do-It-Yourself-Kultur verweisen. Die "Cluster Series" ist eine Art Querschnitt durch die aktuelle Bildkultur. Ich selbst könnte mir die Motive so gar nicht ausdenken. Es ist eine Kooperation zwischen Mensch und Maschine. Zwar setze ich meine Kreativität ein, aber eben innerhalb der Restriktionen der ideengebenden Bilder. Für die Suche verwende ich Fotografien aus meinem Archiv. Es sind Ausschlussbilder, also welche, die ich bisher künstlerisch nicht verwendet habe. Die Suchergebnisse reinszeniere ich dann, baue Settings nach, fotografiere sie ab und kombiniere sie mit meinen Ausgangsbildern zu Diptychen, Triptychen oder mehrteiligen Tableaux. Ich nehme mir die Freiheit, die Bilder leicht zu verändern. Am Ende ist es für den Betrachter gar nicht mehr möglich und auch nicht wichtig zu unterscheiden, welches Bild zuerst da war.

SM: Wie präsentieren Sie diese Cluster?

VB: Ganz unterschiedlich. Diese Entscheidung zu treffen, ist ein wichtiger Teil des Arbeitsprozesses. Beim "Black Cluster" zum Beispiel gehe ich über die Bildgrenzen hinaus und lasse die zentrale, sehr dunkle Aufnahme des nächtlichen Tokios in den Raum auslaufen, indem ich sie in eine diffuse, schwarz gestrichene Umgebung einbette. Dadurch mache ich sie räumlich erfahrbar. Manche präsentiere ich skulptural, zum Beispiel als mehrschichtige Fotoobjekte, andere als klassisch gerahmte Arbeiten. Gemeinsam ist allen Präsentationen, dass jedes Bild eines Clusters immer Bezug auf mindestens ein anderes nimmt.

SM: Ist die Serie auch ein Kommentar auf das stetig und unkontrollierbar wachsende Bildarchiv, das uns im Netz umgibt? Auch das entsteht ja durch eine Kooperation von Mensch und Maschine, also programmierter Computer-Intelligenz.VB: Man weiß ja, dass dieses Konvolut im Internet ständig wächst, dass immer mehr Bilder dazukommen und zirkulieren, aber man hat keine Vorstellung davon, wie das eigentlich aussieht. Um einen Teil davon sehen zu können, braucht man ja immer Suchbegriffe oder, wie im Fall der „Cluster Series", eben ein Bild. Mit meiner Arbeit mache ich im Grunde ein Innehalten sichtbar, bevor die Zirkulation weitergeht. Würde ich meine Bildersuche eine Woche später durchführen, würde wahrscheinlich alles ganz anders aussehen.

SM: Es ist spannend, wie diese Methode Ihre künstlerische Praxis beeinflusst. Plötzlich fotografieren Sie nicht mehr nur, sondern fangen an, Dinge zu bauen.

VB: Für mich ist das neu, ich habe vorher nie inszeniert, sondern vor allem Bilder benutzt, die mir über den Weg gekommen sind. So war es auch bei der Arbeit, die jetzt in der Ausstellung "Paparazzi!" in der SCHIRN zu sehen sind.

SM: Für "Flash" haben Sie Filmstills aus einem Nachrichtenvideo entnommen. Zu sehen sind fast nur noch eine weiße Fläche und ein paar Umrisse, weil die Blitze der Fotoreporter die Szene stark erhellen. Ein Kommentar auf das mediatisierte Spektakel?VB: Durch die vielen Blitzlichter der Paparazzi entsteht ein stroboskopischer Effekt. Das, worum es dem Videomacher eigentlich geht, ist in diesem Moment fast ganz ausgeblendet. Bei normaler Belichtung würde man einen Promi sehen, der aus dem Restaurant kommt und in eine Limousine steigt. Im Grunde ist das ja kein wichtiges Ereignis. Erst durch die Aufmerksamkeit wird es zu einem. Das Licht ist sozusagen ein Stellvertreter für diese überhöhte Aufmerksamkeit.

SM: Sie interessieren sich schon länger für im Internet entstehende Bildästhetiken und verknüpfen diese mit Ihrer eigenen Praxis. Für Ihre bekannteste Serie "World of Details" haben Sie Bilder aus Google Street View entnommen und sind dann zu den Orten gefahren, um dort Details zu fotografieren. Wie kamen Sie darauf?

VB: Google Street View habe ich 2009 entdeckt. Mich hat es fasziniert, virtuell durch New York spazieren zu können. Ich habe das dann nächtelang gemacht. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass einige Menschen die Kamera bemerken und zu ihr hinschauen. Solche Situationen habe ich dann gesammelt. Später hatte ich die Idee, zu den Orten zu fahren, wo die Leute von der unbemannten Google-Kamera erwischt wurden, um diesen Bildern etwas entgegenzusetzen.

SM: Sie haben dort Bilder gemacht, die stark im Kontrast zu den Google Street View-Aufnahmen stehen. Es sind genau durchdachte Kompositionen; Licht, Ausschnitt, Farbe -- alles stimmt.

VB: Auf den Fotografien sind meist Details zu sehen, die mir innerhalb dieser Szene aufgefallen sind. Manche Bilder zeigen stark vergrößerte Ausschnitte des Referenzbildes, das wirkt fast so, als hätte ich in die Ursprungsszene hineingezoomt, um mit der Kamera die Oberfläche abzutasten. Bei anderen habe ich etwas sichtbar gemacht, was auf dem Ausgangsbild nicht sichtbar war. Auf einem konnte man zum Beispiel durch das Fenster eines Diners ein Paar sehen. Ich bin dann dort hingegangen und habe den Tisch fotografiert, an dem die beiden saßen. Ich wollte den Ort erkunden, aber auch den Unterschied zwischen dem zeigen, was die Maschine ohne zu denken aufnimmt, und dem von vielen Entscheidungen geprägten Prozess, mit dem ich als Mensch zu einem Bildergebnis komme.

SM: Ihr Werk mutet ein bisschen wie ein Forschungsprojekt an: Untersuchen Sie, wie die Fotografie und neue Foto-Technologien die Alltagskultur beeinflusst?

VB: Mich interessiert es herauszufinden, wofür Menschen Fotoapparate verwenden und was sie überhaupt für abbildungswürdig halten. Ich kam lange nicht dazu, überhaupt eigene Bilder zu machen, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war, die Bilder, die ich jeden Tag über verschiedene Kanäle sah, einzuordnen und zu verstehen. Deswegen war es logisch für mich, solche Bilder aus ihren Kontexten zu lösen. Die Arbeit an diesen Serien ist immer ein Prozess, und der bringt vor allem Erkenntnisse über die Zeit, in der sie entstanden sind.