Bettina Pousttchi stellt mit ihrer Arbeit „Framework“ Fragen nach Stadtentwicklung, Architektur und Geschichte. Im Interview spricht die Künstlerin über die fruchtbare Verbindung von Skulptur, Video, Fotografie und Architektur.

Die deutsch-iranische Künstlerin Bettina Pousttchi bespielt die Fassade und die Rotunde der SCHIRN mit großflächigen Fotodrucken. Das grundlegende Konzept zeigt durchaus Verwandtschaft zu ihrem Werk „Echo", bei dem sie mit Fotodrucken auf Papierpostern die Temporäre Kunsthalle in Berlin ins Gewand des abgerissenen Palasts der Republik gekleidet hat. Bettina Pousttchi, gebürtig aus Mainz stammend und heute in Berlin lebend, kennt die SCHIRN schon seit ihrer Eröffnung 1986. Es war die erste Kunsthalle, die sie besuchte. Bereits 2006 war sie mit ihrer Fotoserie „Fans" Teil der Gruppenausstellung „Die Jugend von heute". Nach zahlreichen internationalen Gruppen- und Einzelausstellungen, u.a. in Basel, London, Rom und Buenos Aires, realisiert die Künstlerin nun ein eigenes großflächiges Projekt in der SCHIRN Kunsthalle. Bettina Pousttchi arbeitet mit Fotos, Skulpturen und Videos. Ihre Fassadenverkleidungen beziehen dabei zusätzlich zu diesen drei Ausdrucksformen auch noch den spezifischen architektonischen Aspekt des Gebäudes mit ein. Das Projekt wird u.a. finanziert mit freundlicher Unterstützung der SCHIRN Zeitgenossen.

Fabian Famulok: Sie arbeiten mit Skulptur, Video und Fotografie. In welche Kategorie würden Sie ein Projekt wie „Echo" oder „Framework", das Projekt für die SCHIRN, einordnen?

Bettina Pousttchi: „Framework" ist ebenso wie „Echo" eine Fotoinstallation auf einer Gebäudefassade, die unterschiedliche Disziplinen miteinander verbindet. In erster Linie handelt es sich um Fotografie. Die fotografischen Motive zeigen architektonische Elemente und werden direkt auf das Gebäude angebracht, wodurch sie mit dem Gebäude zu einem skulpturalen Ensemble verschmelzen. Ich denke, beide Arbeiten bewegen sich irgendwo zwischen Architektur, Skulptur und Fotografie.

FF: Wenn man auf Panorama-Aufnahmen von „Echo" die verkleidete Temporäre Kunsthalle im Stadtraum stehen sieht, hat das durchaus etwas sehr skulpturales.

BP: Die Fotoinstallation „Echo" auf dem Schlossplatz in Berlin war ein sehr besonderes Projekt, weil die Temporäre Kunsthalle von allen Seiten und von oben bis unten mit Papierpostern beklebt werden konnte. Der Architekt der Temporären Kunsthalle hat schon bei der Planung ganz bewusst entschieden, dass dort nicht nur im Inneren Kunst gezeigt werden soll, sondern auch auf der Außenhaut des Gebäudes. In diesem Sinne wurde sie auch gebaut: Die Halle hatte kaum Fenster, die Außenhaut bestand aus Hartfaserplatten, und war so konzipiert, dass Künstler mit ihr arbeiten konnten. Das ist bei der SCHIRN anders. Hier muss ich auf die bestehende Architektur Rücksicht nehmen. Framework bedeckt nur Teile der gesamten Architektur, die Glasflächen in der Rotunde und auf der Ostfassade.

FF: Wie war das Zusammenspiel der verkleideten Temporären Kunsthalle mit den umliegenden, teils historischen Gebäuden?

BP: Es war spannend „Echo" im Kontrast zur umliegenden Architektur zu sehen, weil die Gebäude, die an den Schlossplatz angrenzen, aus vielen unterschiedlichen Epochen stammen. Sobald man merkte, dass meine Arbeit ein anderes Gebäude nachbildete, fragte man sich auch bei den umliegenden Gebäuden: „Ist das vielleicht auch nur ein Modell?". In vielen Fällen handelte es sich in der Tat um falsche Fassaden und Gebäudeattrappen. Dadurch entstand eine sehr interessante Verschiebung der Realität, die sich in der Fotoserie „Echo Berlin" widerspiegelt.

FF: War „Echo" die erste Arbeit, die Sie mit diesem Verfahren umgesetzt haben? Eine Fassade mit bearbeiteten Fotos einkleiden?

BP: Mit Fotografie arbeite ich schon sehr lange, doch Fotoarbeiten direkt auf Architektur in einem so großen Format und Maßstab anzubringen war bei „Echo" 2009 eine Premiere. Danach realisierte ich eine weitere Fotoinstallation auf der der Art Basel 2010 im Rahmen der Art Public Projects, die ebenfalls das Temporäre von Architektur zum Thema hatte. Auf der Fassade der Halle 2, die damals abgerissen werden sollte und inzwischen abgerissen ist, war ein Foto angebracht, das die große Uhr der Messehalle 1 spiegelte. Framework ist jetzt das dritte Fassadenprojekt im öffentlichen Raum.

FF: Der Titel „Echo" für die Arbeit in Berlin erscheint sehr plausibel, wenn man sich mit dem Werk und Ihren Überlegungen dazu auseinandersetzt. Wie kam es zur Titelfindung bei „Framework"?

BP: „Framework ist ein architektonischer Begriff, der ein Konstruktionselement beschreibt. gleichzeitig hat „Framework" aber auch noch eine andere Bedeutung: „Bezugssystem". Nicht zuletzt geht es in der Frankfurter Altstadt-Diskussion um die Frage eines kulturellen Bezugssystems. Was ist eigentlich die Epoche, an die wir erinnern wollen? Mir war es wichtig, der Debatte um vermeintlich lokale Traditionen eine transnationale Perspektive zu eröffnen.

FF: Dann könnte man „Framework" auch als Denkanstoß in der Frankfurter Altstadtbebauung verstehen?

BP: Die Frankfurter Debatte um den Aufbau der historischen Altstadt war zwar der Ausgangspunkt für die Entwicklung von „Framework", im Vordergrund stehen für mich allerdings ganz allgemeine Fragen. Wie gehen wir mit unseren Städten um und wer bestimmt darüber wie sie sich verändern? Was ist die Lebenserwartung heutiger Architektur? Welche Geschichte bauen wir auf und welche Geschichte erfährt öffentliche Repräsentation?

FF: Liegt Ihr Hauptaugenmerk gegenwärtig auf dieser Art der architektur-referentiellen Arbeit?

BP: Ich arbeite mit Fotografie, Video und Skulptur. Die ortsspezifischen, architekturbezogenen Fotoinstallationen auf Gebäudefassaden, wie „Echo", „Basel Time" und „Framework" sind eine neuere Entwicklung. Mir gefällt daran, dass die Fotografie mit der Architektur eine Art Symbiose eingeht und es so möglich ist direkt auf Architektur über Architektur zu arbeiten anstatt nur modellhaft. Auch den öffentlichen Raum als Ausstellungsort zu nutzen stellt eine sehr besondere Erfahrung und Herausforderung dar, ebenso wie die enorme Größe.

FF: Zu Ihrer Arbeitsweise: Nach dem Fotografieren kommt die digitale Nachbearbeitung der Bilder am Computer. Welchen Stellenwert hat diese digitale Nachbearbeitung für Sie?

BP: Die digitale Nachbearbeitung nimmt meistens einen weit längeren Zeitraum in Anspruch als das Fotografieren vor Ort. Beide Arbeitsschritte sind mir aber gleichermaßen wichtig.

FF: Sie bearbeiten die Fotos von der Digitalkamera am Computer alle nach demselben Muster? Am Ende hat die flächendeckende Fassade ja ein sehr homogenes Erscheinungsbild, obwohl jedes Foto individuell aufgenommen wurde.

BP: Jedes Projekt hat seine eigene Entwicklungsgeschichte und seinen eigenen Entstehungsprozess. Was viele Fotoarbeiten verbindet sind die schwarz-weißen Streifen, die das gesamte Motiv überziehen. Sie schaffen eine zusätzliche Ebene zwischen Bild und Betrachter und lassen das fotografische Bild so verstärkt als mediatisierte Repräsentation von Realität erfahrbar werden.

FF: Durch das Bearbeiten entfremden Sie, was Sie vorher eins zu eins fotografiert haben. Ist das Fotografieren schon ein künstlerischer Prozess? Oder ist das nur die Materialsammlung?

BP: Das Fotografieren vor Ort ist der erste Schritt in einem künstlerischen Prozess, der sich aus vielzähligen, unterschiedlichen Arbeitsschritten zusammensetzt. Dabei entsteht das Rohmaterial, mit dem ich anschließend weiterarbeite.

FF: Sie haben bei „Echo" gesagt, dass Sie nicht mimetisch arbeiten wollen. Dass Sie also mit diesen „Fassaden" nicht die Realität wiederspiegeln wollen.

BP: „Echo" war keine detailgetreues Abbild des Palastes der Republik, sondern eine subjektive Interpretation. Als meine Arbeit daran begann, war der Palast gerade vollständig aus dem Stadtbild verschwunden und an der Stelle der langjährigen Abrissbaustelle war eine grüne Rasenfläche getreten. Die plötzlich entstandene urbane Leerstelle war sehr auffällig. Die Arbeit war gedacht als eine Art Nachbild -- ein visuelles Echo -- des gerade verschwundenen Gebäudes, daher auch der Titel. Da ich die Struktur des ehemaligen Gebäudes an ein ganz anderes, vieles kleineres, anpassen musste, habe ich nur die wesentlichen Strukturmerkmale übernommen. Auch bei „Framework" handelt es sich um eine sehr subjektive Interpretation von Realität. Ich habe aus dem fotografischen Ausgangsmaterial Motive entwickelt, die zwar Fachwerkelemente verwenden, allerdings vielfältige Assoziationen wecken könnten und beispielsweise an orientalische Ornamente erinnern.

FF: Was hat es mit den vielen Uhren unterschiedlichster Form auf sich, denen man in Ihrem Werk begegnet?

BP: Zum ersten Mal habe ich 2005 im Rahmen der Fotoserie „Take Off" eine Uhr im öffentlichen Raum fotografiert, in der Abflughalle des Flughafens Tempelhof in Berlin. 2008 habe ich dann das Fotoprojekt der „World Time Clock" begonnen, bei der ich in allen Zeitzonen der Welt Uhren im öffentlichen Raum zum immer gleichen Zeitpunkt fotografiere, um fünf vor zwei. So entsteht über die Jahre eine „fotografische Weltzeituhr", die die immer gleiche Zeit anzeigt. Von dieser sich im Prozess befindenden Serie stelle ich acht Motive in der Rotunde der SCHIRN aus.

FF: Interessiert Sie die Ästhetik der Uhren? Oder interessiert Sie der theoretische Zeitbegriff?

BP: Der konzeptionelle Aspekt steht bei dieser Fotoserie im Vordergrund. Da auf allen Fotos die gleiche Uhrzeit zu sehen ist, könnte man meinen, dass überall derselbe Moment festgehalten wurde, was nicht der Fall war. Fotografie ist ein Medium, das in ganz besondere Weise mit Zeit umgeht.