Die Künstlerin Christa Dichgans malt seit rund fünf Jahrzehnten – ihrem Prinzip von Reihe und Ansammlung ist sie bis heute treu geblieben. Ein Interview über Spielzeug, New York und German Pop.

Schirn Magazin: Frau Dichgans, Sie waren in der Klasse von Fred Thieler, einem Vertreter des Informel. Ihre Malweise war aber von Anfang an figurativ ... 

Christa Dichgans: Ich habe nie abstrakt gemalt. Meine ersten Bilder waren stark von meinem damaligen Ehemann, Karl Horst Hödicke, beeinflusst. Die sahen ziemlich wild aus -- das Problem war nur: nach einer gewissen Zeit habe ich mir die selber nicht mehr abgenommen, und so fing ich an, alle Arten von Stillleben zu malen: "Nichte mit Puppe", zum Beispiel. Dieses Thema wurde dann aber noch präziser, als ich in New York war.

SM: Sie sind 1966 mit einem Stipendium mit Mann und Kind in die Haupstadt der Pop Art gezogen.

CD: Genau -- und dort habe ich gern bei der Salvation Army [Heilsarmee] eingekauft, wo es eben diese Berge von gebrauchtem Spielzeug gab. Das war dann erstmal mein Thema. Ich war einfach begeistert von dem, was ich dort gesehen habe: Haufen von allem möglichen Spielzeug waren dort zu sehen, wie man es sonst selten zu Gesicht bekommt, Ansammlungen -- das hat mich sehr angeregt. Ich brauche unbedingt einen Gegenstand als Ausgangspunkt, und wenn es sich um Puppen, um Stofftiere handelt, mit denen kann man ja ganz anders umgehen; ich habe zum Beispiel nie einen Menschen nach Modell abgezeichnet, das hat mich nie interessiert. Aber wenn Sie dann plötzlich ein Spielzeug haben, damit können Sie alles machen: Da gibt es ja diese grundsätzliche Distanz zur Wirklichkeit.

SM: Also war New York damals so etwas wie eine Initialzündung? 

CD: In gewisser Weise schon. Das hat ja so etwas Existenzielles, New York! Da gibt es keine Zwischenlösungen, es geht entweder nach oben oder nach unten. Diese Eindrücke spiegeln sich auch in meinem New York-Bild (aus den 1980er-Jahren, Anmerkung d. Red.) wider: Beinahe gotisch, Rolltreppen nach oben und unten. In Berlin war es im Vergleich dazu ja geradezu gemütlich. In New York konnte man entweder Erfolg haben -- oder keinen Erfolg haben, etwas dazwischen gab es nichts Die Stadt hat so etwas Absolutes, und ich habe einige gesehen, die an ihr kaputt gegangen sind, auch eine Malerin, die irgendwann einfach aufgehört hat und Sekretärin geworden ist. Ich war natürlich auch todtraurig, als ich wegmusste, aber im Rückblick war es gut für mich. Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich dort geblieben wäre! Nein, das wäre nicht gegangen.

SM: Welchen Einfluss wohl der amerikanische Kunstmarkt auf Ihre Arbeiten gehabt hätte?

CD: Einmal kam der Kunsthändler Allan Stone in mein Atelier. Er meinte: Sehr schöne Bilder, aber wenn Sie davon 50 haben, sprechen wir wieder! Ich habe in einem Jahr gerade zwölf geschafft. Heute gibt es ja Frauen, die das beherrschen. Cecily Brown zum Beispiel, eine richtig gute, hervorragende Malerin, die seit Längerem in New York lebt. Oder auch Cindy Sherman mit ihrer starken Position -- so etwas gibt es bei uns einfach nicht. Das sind zwei Riesinnen. Und typisch USA: Härter! Produktiver! Wobei die beiden auch jünger sind als ich, da gab es doch nochmal einen Aufbruch.

SM: Sie sagen das mit einiger Bewunderung.

CD: Es gibt keine Entschuldigungen mehr. Frauen können heute alles selber bestimmen: Ob sie Kinder haben wollen, verheiratet leben wollen -- wenn ich mir andere Regionen anschaue, werden Frauen fast in allen Teilen der Erde unterdrückt, was mir große Sorgen bereitet. Aber im Westen, in Amerika und Europa: Das ist doch die beste Situation, die eine Frau heute haben kann!

SM: Und damals, in den 60er-Jahren? Wie kompliziert war es, Kind und Kunst zusammen zu bringen?

CD: Natürlich ist das eine Herausforderung, und natürlich mache ich mir manchmal Vorwürfe, wie wohl die meisten Eltern im Nachhinein. Und mein Sohn hatte ja nicht nur eine Mutter, sondern auch einen Vater, der Künstler ist. Trotzdem: Ich hab's immer gut getroffen, immer Glück gehabt. In New York fand ich gleich einen tollen Kindergarten, ein Integrationsprogramm, die Erzieher trugen die Kinder auf allen Vieren herum. Daran war hier ja überhaupt noch nicht zu denken! Die Muppet-Show wurde gerade erfunden, die gab es bei uns gar nicht, ich bin heute noch ein großer Fan: Kermit in seinem Trenchcoat! Einfach großartig. Amerika hat sowieso viel damit zu tun, dass ich diese Sujets so liebe. Ein bisschen infantil irgendwie. Aber es hat mich immer sehr gereizt.

SM: Sie haben auch später immer wieder darauf zurückgegriffen: 2010 kamen dann Ansammlungen von Spielzeug gemeinsam mit Kriegsgeräten auf die Leinwand.CD: Ja, richtig, dieses Thema hat sich immer wieder unterschiedlich entwickelt. Es hat mich nie losgelassen. Aus dem Spielzeug sind dann irgendwann Gummitiere geworden, an denen mich vor allem die Malweise interessiert hat -- diese glatten, polierten Oberflächen, die man mit Acrylfarbe darstellen konnte. Neue Themen gingen immer auch mit einer neuen Malweise Hand in Hand. Für mich war immer das Bild das Wichtigste, die Malerei.

SM: Wobei man den Eindruck hat, dass sich eins aus dem anderen ergibt: Wie eine logische Konsequenz folgen die verschiedenen Sujets aufeinander. Es gibt keine harten Brüche.

CD: Das ist mir ganz wichtig! Die Kontinuität. Es gibt immer wieder diesen Rückgriff auf alte Dinge, neue Themen stehen immer mit den alten in Zusammenhang. Für mich ist es sehr wichtig, dass man bei seinen Problemen bleibt, dass man sie nicht entäußert. So wie in meiner Zeit als Assistentin von Georg Baselitz: Irgendwann saß ich mit Baselitz in der Paris-Bar und erzählte ihm von meiner Atelier-Suche, und er meinte: "Komm doch in meine Hochschule und mal da!" Erst später wurde mir klar, welche Konsequenzen das eigentlich hatte: Ich war jetzt plötzlich Assistentin von Baselitz. Das hat mir viel Spaß gemacht, Baselitz ist ein wunderbarer Professor und ein künstlerischer Riese. Trotzdem habe ich alles, was er gesagt hat, auf mich selbst angewendet. Auch A.R. Penck mit seinen heterogenen Bildern hat mich sehr beeinflusst. Aber letztlich blieben es immer meine Themen, meine Arbeitsweise. Bald musste ich dann übrigens wieder raus aus der Hochschule, es war nett, man bekommt richtig Geld -- aber es ist auch gefährlich. Ich wollte wieder meine eigenen Sachen machen.

SM: Sie haben alles gemalt: Spielzeug, Kriegsgeräte, Geld, Köpfe, Länder, Bauwerke, Alltagsgegenstände -- immer dem Prinzip der Serie folgend. Wie verändert sich das Bild, wenn man Anhäufungen malt?CD: Mit der Häufung wurde es komplizierter, distanzierter, auch dramatischer. Erst habe ich Häufungen von demselben Gegenstand gemalt: Wecker, Feuerwehren, Brillen. Das multipliziert alles, das macht die Sache zu etwas ganz Neuem. Dann kamen plötzlich alle Dinge zusammen, das entwickelte eine eigene Dramatik. Genauso mit den Kriegssujets: Ich bin kein Dix, der expressionistische Kriegsschauplätze malt. Es bleibt immer ein Stillleben, etwas Gebautes.SM: Sie waren 40 Jahre lang mit dem Galeristen Rudolf Springer verheiratet. Ist es Fluch oder Segen, als Künstlerin mit einem Kunsthändler zusammen zu leben?CD: Schwierig. Allerdings: Mein Mann hat von Anfang an meine Bilder ausgestellt, was ja eine Leistung ist -- die eigene Frau auszustellen! Die ganzen Wände voll, bis oben hin, meine briefmarkengroße Bilder, und er hat verkauft. Ich kenne einige Frauen, die mit Kunsthändlern, mit Galeristen zusammen sind, und ich finde es immer ein bisschen traurig, dass die nichts für ihre Frauen tun. Ich gebe ja zu, dass es schwierig ist, die eigene Frau auszustellen -- aber gar nichts zu machen, das muss frustrierend sein.

SM: Die eigenen Bilder von 1969 heute hier in der Ausstellung "German Pop" zu sehen, wie ist das?

CD: Merkwürdig, natürlich. Aber auch spannend: Diesen Rückblick, den hat man sonst nicht, wenn man jeden Tag im Atelier steht. Und das tue ich bis heute -- deshalb freue ich mich natürlich, dass man heute meine Arbeiten von damals anschauen kann. Aber genauso gut finde ich es, wenn die Leute meine aktuellen Sachen anschauen.