Die eindrucksvollen Installationen des brasilianischen Künstlers Henrique Oliveira, geboren 1972 in São Paulo, lassen nicht vermuten, dass seine Arbeiten ihren Ursprung in der Malerei haben. Nach Einzel- und Gruppenausstellungen in Brasilien, Argentinien, USA und Frankreich ist Oliveira nun erstmals in Deutschland mit seiner Arbeit „Parada dos Quasolitos" in der Ausstellung „Brasiliana" zu sehen. Der Künstler will mit seinen Installationen alle Sinne des Betrachters ansprechen und ihn in eine andere, neue Welt entführen. Was das besondere brasilianische Element in seinen Arbeiten ist und welche Rolle die jeweils spezifische Architektur des Ausstellungsraumes dabei spielt, verrät Oliveira im Gespräch mit dem SCHIRN MAG.

SCHIRN MAG: Sie arbeiten bevorzugt mit Sperrholzplatten. Sie haben das Holz für Ihre Arbeit „Parada dos Quasolitos" in der SCHIRN sogar extra aus Brasilien einschiffen lassen. Was hat es mit diesem Material auf sich?

Henrique Oliveira: An der Universität von São Paulo, an der ich meinen Master im Studiengang Visual Poetics gemacht habe, fehlte eine ausgeprägte Infrastruktur. Viele Studenten müssen sich selbst helfen und arbeiten deswegen mit Materialien, die sie auf Baustellen finden: Sand, Zement, Backsteine, Holz. Ich studierte Malerei und erforschte verschiedene Materialien für Installationen, Objekte an der Wand, Assemblagen und Collagen. Im Zuge dessen untersuchte ich verschiedene Oberflächen, die die Stadt bietet. Besonders interessierten mich jene Oberflächen der Stadt, die sichtbar alterten, wie etwa alte Wände mit Rissen. Irgendwann stieß ich bei dieser Suche quasi zwangsläufig auf diese omnipräsenten Sperrholzplatten.

SM: Wie werden diese speziellen Holzplatten in São Paulo verwendet?

HO: Die Platten stammen von Baustellenzäunen. Daher heißen meine ersten Arbeiten mit diesem Material auch „Tapumes" -- so werden diese Baustellenzäune in Brasilien genannt. Das Wort „Tapumes" kommt ursprünglich von „tapar", was auf Deutsch etwa „verdecken" bedeutet. Ich wollte herausfinden, wie man mit diesem Holz im Bereich der Malerei umgehen kann. Meine ersten Arbeiten mit dem Material waren flach, anfangs interessierte mich nur die Oberfläche der Holzplatten. Als ich weiter mit ihnen arbeitete, habe ich herausgefunden, dass es, wenn man das Holz bricht und zu einer Art Collage zusammenfügt, an einen groben Pinselstrich erinnert. Die erste Arbeit mit dem Holz an der Kunsthochschule erinnerte an sich überlagernde Pinselstriche.

SM: Würden Sie Ihre Arbeiten als typisch brasilianisch bezeichnen? Finden sich darin Einflüsse Ihrer Heimatstadt São Paulo?

Meine Skulpturen symbolisieren in gewissem Sinne die Stadt São Paulo. São Paulo ist bekannt als Stadt, in der ständig etwas niedergerissen wird, um etwas Neues zu bauen, sie entwickelt sich ständig weiter. Gebäude werden zerstört und neue Gebäude aufgebaut. Die Stadt wächst ununterbrochen, verändert und bewegt sich. Die Referenz an diesen ständigen Wandel steckt indirekt in meiner Arbeit. Außerdem hat die Formgebung meiner Installationen eine gewisse Sinnlichkeit, doch gleichzeitig sind sie aus Material gefertigt, das eigentlich für den Müll vor

SM: Werden diese Holzplatten vor der Installation noch von Ihnen bearbeitet?

HO: Anfangs habe ich nur mit den Farben gearbeitet, die das gefundene Holz von den Baustellen bereits hatte. Erst später begann ich, die Holzplatten einzufärben. Ich habe auch erst im Laufe der Zeit die Flexibilität des Materials entdeckt. Ich stapelte die Platten aufeinander, setzte sie unter Spannung und verbog sie, ließ Teile aus der Wand in den Raum hineinragen. Ab diesem Zeitpunkt begann ich, meine Arbeiten als Skulptur zu begreifen. Es ging dann nicht mehr nur um die Oberfläche des Materials, sondern auch um das Volumen. Ich verfolgte zwei verschiedene Richtungen: Einerseits die Idee eines Gemäldes, das in den Raum greift. Hier ging es um die farbliche Zusammenstellung und das Material, das an einen Pinselstrich erinnerte. Und andererseits die Verwandlung des Holzes in etwas organisches, fleischliches, einen Verweis auf den Körper. Ich bemalte die Holzplatten und nahm weitere Materialien hinzu. Etwa PVC-Rohre, die dem Gebilde Elastizität verleihen, es erscheinen lassen, als wäre es mit Wasser gefüllt. Eigentlich ist diese Elastizität die gegenteilige Beschaffenheit des Ausgangsmaterials Holz, mit dem man vor allem Trockenheit verbindet.

SM: Wie ist das Verhältnis Ihrer Arbeiten zur sie umgebenden Architektur?

HO: Meine früheren Arbeiten waren eine direkte Reaktion auf die Architektur des Ortes, an dem sie entstanden, mit einer engen Beziehung zwischen Raum und Skulptur. Wenn es etwa Säulen in dem Raum gab, dann reagierte meine Arbeit auf diese Säulen, bezog sie ein, wucherte über die Säulen oder um sie herum. Mit der Zeit habe ich meinen Ansatz verändert. Die Skulptur in der SCHIRN etwa passt sich exakt an die Architektur an, hat allerdings auch eigene, innere architektonische Vorgaben, die von der äußeren Architektur des Ausstellungsraumes unabhängig sind. Ich bewege mich also in eine andere Richtung mit den neueren Arbeiten. Hier geht es um Architektur, die sich im Inneren abspielt. Die Skulptur baut in einem gegebenen Raum einen zweiten, unabhängigen Raum. Wenn man meine Skulptur betritt, verliert man die Verbindung zum Ausstellungsraum. Ich spiele in meinen Arbeiten gerne mit einem Bruch in der Wahrnehmung des Raumes. Man betritt plötzlich eine andere Welt. Die Arbeit „Parada dos Quasolitos" soll die Sinne ansprechen, man fühlt plötzlich den flexiblen Untergrund, man hört die Holzplatten wie sie sich verbiegen, man riecht intensiv das Holz, aus dem der Raum gebaut ist. Es spricht nicht nur das Auge an, sondern alle Sinne.