Kunst hautnah: Der SCHIRN CIRCLE besuchte den Nachwuchskünstler Jonas Weichsel in seinem Atelier und schaute auch bei seiner Galeristin Parisa Kind vorbei.

Eine raue Ecke im Frankfurter Bahnhofsviertel: Am Schaufenster eines Pelzhändlers torkeln Junkies vorbei. Daneben gibt ein Gittertor den Blick auf Klingelschilder frei, von denen der Lack schon lange abgeblättert ist. Hier, im dritten Stockwerk, ist das Studio von Jonas Weichsel. Er gilt als vielversprechender Nachwuchskünstler. In seinem kleinen Atelier hängen verschiedene Pinsel ordentlich an der Wand, Unmengen von Farbtuben reihen sich aneinander. An diesem Abend ist das Atelier so voll wie selten, denn 20 Mitglieder des SCHIRN CIRCLES sind zu einer Kunstvisite gekommen.

Der SCHIRN CIRCLE ist der Verein für junge, vor allem berufstätige Freunde der SCHIRN Kunsthalle, der vor etwas mehr als einem Jahr ins Leben gerufen wurde. Inzwischen hat er mehr als 100 Mitglieder, die gemeinsam exklusive SCHIRN-Führungen besuchen, zu wichtigen Kunstmessen und Galerie-Wochenenden in andere Städte fahren oder, wie an diesem Abend, einen Blick hinter die Kulissen der Kunstwelt werfen. Ingo Tzschicholz ist seit einem halben Jahr Vereinsmitglied und freut sich: „Es ist das erste Mal, dass ich ein echtes Künstleratelier zu sehen bekomme. Das ist schon etwas Besonderes.“ Neben dem Atelierbesuch steht heute auch eine Stippvisite der Galerie Parisa Kind auf dem Programm, von der Jonas Weichsel vertreten wird.

Jonas Weichsels Bilder wirken wie Skulpturen

Weichsel, Jahrgang 1982, machte im vergangenen Jahr seinen Abschluss an der Städelschule. Zuvor studierte er in Mainz sowie an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Turner-Preisträgerin Tomma Abts. Der Raum im Bahnhofsviertel ist sein erstes eigenes Studio. Für den SCHIRN CIRCLE hat er Fotoprints von seinen Arbeiten auf einem Tisch ausgebreitet. Denn viele Originale gibt es hier nicht zu sehen – lediglich ein Gemälde und zwei Siebdrucke. Seine Galeristin kennt den Grund dafür: „Seine werke verkaufen sich sehr gut. Auch schon während seines Studiums. Als ich ihn das erste Mal traf, hatte er nur ein Bild im Atelier. Aber dieses eine Bild hat für sich gesprochen.“ Jonas Weichsel schafft Werke, die beim flüchtigen Hinschauen sehr geometrisch und reduziert erscheinen. Auf den zweiten Blick erschließen sich aber Räume, die die Arbeiten objekthaft wirken lassen. „Ich sehe ein Bild immer auch als Skulptur“, sagt er. Oft konzipiert er Werke als Serien: „Sie funktionieren wie eine Musik-Compilation, die mit ihrer Abfolge ein bestimmtes Klangbild erzeugt.“

Am Anfang jedes Werkes von Jonas Weichsel steht der Raum, in dem das Bild hängen soll, erzählt er. Deshalb fertigt er zuerst ein Raum-Modell an, bevor er mit der eigentlichen Arbeit beginnt. Ein Modell von Parisa Kinds Galerie steht auch in seinem Regal, denn dort werden zurzeit Bilder von Weichsel ausgestellt. Und dort will der SCHIRN CHIRCLE als Nächstes hin – mit der S-Bahn nach Sachsenhausen, wo sich die Galerie in einem Hinterhof einer ehemaligen Druckerei befindet.

Man ist für Künstler immer Ansprechpartner, fast wie eine Mutter

Parisa Kind steht für ein zeitgenössisches, konzeptionelles Programm mit internationalem Anspruch. 2003 eröffnete sie ihre erste Galerie in einem zwölf Quadratmeter großen Raum in der Oppenheimer Straße. Danach zog sie in die Fahrgasse: „Das war ein total seltsamer Schritt. Denn es gab damals noch keine andere Galerie in der Straße“, sagt sie. Schnell machte sie sich einen Namen in der Kunstwelt. Ein noch größerer Ausstellungsraum musste her. Also der erneute Umzug nach Sachsenhausen. Heute macht sie sechs Ausstellungen im Jahr und vertritt 14 Künstler. „Das ist viel Arbeit, vor allem, wenn man eine Familie hat. Man ist für die Künstler immer ein Ansprechpartner, fast wie eine Mutter. Die rufen auch an, um mir zu erzählen, dass sie Liebeskummer oder Geldsorgen haben“, erzählt sie. Parisa Kinds Mann ist übrigens auch einer der Künstler, der von ihr vertreten wird: Mike Bouchet. Er sorgte 2009 weltweit für Furore, als er bei der Biennale in Venedig ein schwimmendes Fertighaus aufbaute, das dann unbeabsichtigt unterging. Im Jahr darauf zeigte die SCHIRN die Ausstellung „Mike Bouchet. Neues Wohnen“ mit seinen Werken. Aktuell ist er zudem mit einer Arbeit in der Ausstellung „Privat“ vertreten.

Fast immer kommen die Künstler über Empfehlungen in Parisa Kinds Galerie: „Empfehlungen von Künstlern oder von Leuten, denen ich vertraue“, erzählt sie. Auch bei Jonas Weichsel war das so. Ihre ehemalige Assistentin Vivien Trommer (die auch für das SCHIRN Magazin schreibt) machte sie auf ihn aufmerksam. „Ich fand die Bilder so interessant, dass ich Jonas gleich eingeladen habe, in meinem Projektraum auszustellen“, sagt Parisa Kind, „als ich dann die Werke sah, die er für die Ausstellung gemalt hat, sagte ich mir: ‚Den lasse ich mir nicht wegschnappen!’“

Und so geht ein spannender SCHIRN CIRCLE-Abend zu Ende, der ganz zum Schluss noch etwas wehmütig wird: Steffie Müller, die den CIRCLE mit aufgebaut hat, gibt die ehrenamtliche Leitung zum Ende des Jahres ab und wird verabschiedet. Wer ihr Nachfolger wird, steht bislang noch nicht fest.