Christian Freigang, Professor für Kunst- und Architekturgeschichte der Goethe-Universität Frankfurt am Main, über den neuen unterirdischen Anbau des Städelmuseums.

Es ist nicht einfach, einen alten Museumsbau und seine Vergrößerungsbauten ein weiteres Mal zu ergänzen. Zumal alles in einem dicht bebauten Viertel liegt und es sich um historisch innovative Bauten der Museumsarchitektur handelt: Das gilt vor allem für den bis 1878 von Oskar Sommer errichteten Maintrakt mit seinem Gartentrakt von 1921 und den Nachkriegsergänzungen sowie für den Seitenflügel von Gustav Peichl von 1990. Zusammen mit der Städelschule umschließen diese Bauten einen bislang wenig wahrgenommenen begrünten Innenhof. Hier ist kein Platz mehr, außer man geht unter die Erde dieses Hofes. Das als Sieger aus dem Wettbewerb für die Städel-Erweiterung gekürte Frankfurter Architektenbüro schneider+schumacher formt diese Schwierigkeit kreativ um: Die Architekten thematisieren die Schnittebene zwischen dem Erweiterungsbereich und dem Hof darüber, und damit kommt sowohl das unter wie auch das über der Erde Befindliche aktiv ins Spiel, nimmt aufeinander Bezug und macht mit einem Schlag das gesamte Areal zwischen Holbeinstraße, Mainufer und Dürerstraße zu einer Museumslandschaft.

Ein technisches Meisterwerk

Der Hauptsaal der Erweiterung ist ein erstaunlich geräumiger, weit fließender Raum, den eine von runden Lichtöffnungen perforierte Membran von ca. einem halben Meter Dicke überspannt. Kaum bemerkt man im luftigen Inneren die zwölf Stützen, die diese straffe Haut technisch ermöglichen. Die darin eingestellten mobilen Ausstellungskojen enden unterhalb der Membran, die sich ersichtlich darüber streckt: In einer Spannweite von 76 x 52 m ein technisches Meisterwerk. Belebte Strenge herrscht hier, denn die Öffnungen der Membran ordnen sich in 13 x 13 schnurgeraden Reihen in gleichmäßigen Abständen an, füllen damit den gesamten Innenhof aus und garantieren eine gleichmäßige Belichtung des Inneren. Die Öffnungen spenden diffuses, in seiner Intensität regulierbares Tageslicht und enthalten zudem Kunstlichtstrahler. Im geometrischen Zentrum aber erhebt sich die Membran zu einem sanften Hügel bis auf eine Höhe von gut zwei Metern – die Durchmesser der Rundöffnungen nehmen hier von ca. 1,5 auf 2,7 m zu, gleichsam wie bei einer Haut, die sich dehnt, atmet, nach oben wölbt. Innen zeichnet der Hügel sacht den zentralen, auf ca. 8 m Höhe ansteigenden Bereich des Ausstellungssaales aus.

Bei Nacht strahlt sein Licht nach oben

Diese Mitte nimmt konsequent Bezug auf die zentrale Achse des Museumsaltbaus und korrespondiert mit dessen architektonischem Hauptaktzent, dem Kuppelraum über dem Foyer. Was hier markant die Schauseite zum Mainufer bestimmt, kehrt in sachter Andeutung, aber in exakter Achsentsprechung im Garten wieder. Und dort ordnet der Hügel in subtiler Weise: In seiner Breite entspricht er nicht nur dem Mittelrisalit des Städel-Altbaus, sondern auch der Mittelpartie der Städelschule südlich gegenüber. Diese wird erst jetzt wieder zu einem architektonisch wahrzunehmenden Flügel dieses Innenhofs. Die zentrierende Erhebung bezieht die drei angrenzenden Fassaden von Städel-Altbau, Städelschule und Peichl-Trakt aufeinander. Der runde Grundriss des Kuppel-Hügels entspricht den kreisrunden Lichtöffnungen: Auch sie haben Teil an der Membran über dem Erweiterungsraum. Sie wird auf ihrer Oberseite zur grasbewachsenen und betretbaren Gartenfläche: Als trittsichere, transluzide Glasflächen lassen sie den riesigen Ausstellungsraum darunter bei Tag erahnen; bei Nacht strahlt sein Licht nach oben in den Hof. Das lässt die Grasoberfläche in ihrer Bewertung changieren: Erdoberfläche oder elastische, lichthinterfütterte Membran?

Ein Ensemble der Land Art

Der neue Innenhof verbindet das gesamte Städelareal mit seinen drei umschließenden Flügelbauten und bleibt trotzdem nicht ein bloßer Leerraum, weil er unmissverständlich den vierten, unter der Erde sich erstreckenden Flügel präsent hält. Städtebaulich erschließt sich der neu gestaltete Innenhof von der Dürerstraße her als ein ruhiger, wohl proportionierter Platz, durch Baumreihen von der Straße behutsam abgesetzt, aber gleichwohl zu ihr einladend geöffnet. Das erinnert von ferne an Pariser Stadtpalais des 18. Jahrhunderts. Insgesamt schwingt die Louvre-Erweiterung mit ihrer berühmten gläsernen Pyramide mit: Auch hier trennt eine gläserne Membran ein hohes Untergeschoß von dem Hof darüber, und auch hier markiert eine Erhebung – die Pyramide – das Zentrum einer Dreiflügelanlage. Eine mit Frankfurt vergleichbare ordnende Erschließung des Unteren, die auf das Obere übertragen ist. Doch bei schneider+schumacher wirkt das Ganze naturbezogen, gleichsam als ein Ensemble der Land Art.

Alt und Neu energisch verbunden

Gewisse Verbindungen zwischen dem Neue Städel mit dem Neuen Louvre ergeben sich auch im Hinblick auf die Innenerschließung: Das alte überkuppelte Foyer im Zentrum gewinnt ähnlich wie in Paris eine Funktion als zentraler, komplexer Verteiler in markanten Raumachsen: von dort geht es in einer Querachse ab zu graphischer Sammlung bzw. Bookshop, über die Haupttreppe in die Gebäudetiefe, hoch zu den Alten Meistern. Beiderseits seitlich wird man hinab zur Gegenwartskunst geleitet. Die Raumabfolge hier ist spannend und vielfältig: zunächst führen zwei parallele Treppenschächte auf eine Zwischenebene. Diese gehört noch zum Altbau, man sieht es an den vier Buntsandsteinsäulen. Farblich isoliert im dominierenden Weiß stehen sie doch an den Eckpunkten einer Rechteckordnung – vergleichbar der Decke des Erweiterungsraums – und fassen zwischen sich die Haupttreppe zum neuen Ausstellungsbereich darunter ein. Diese Treppe bohrt sich als hellsteinfarbige skulpturale Rinne durch die Ebene des Zwischengeschosses und weitet sich unmerklich nach unten: Anfangspunkt einer Achse, die konsequent in den neuen Ausstellungsbereich und sein atmendes Zentrum führt: Die neu im Altbau betonte Querachse erhält hier ihr Pendant als zentrale Tiefenerschließung, die energisch Alt und Neu verbindet.